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Liveberichte aus biblischer Zeit

Interview mit Manfred Voegele, freier Journalist

Von Alexandra Goedecke
 

Wie entstand die Idee, »Radio Tyrus« zu produzieren?
Schon Anfang der 70er-Jahre gab es Hörspiele mit biblischem Hintergrund, die aber wenig informativ waren. Einige Kollegen und ich sagten uns: »Das können wir besser« und beschlossen, die Bibel im Radio-Stil zu erzählen. Journalisten waren wir alle. Nur hatte keiner von uns wirklich viel mit der Bibel zu tun gehabt. Unsere richtigen Namen haben wir beibehalten. Schließlich hatten wir nicht die Absicht, Theater zu spielen.

Sie produzieren keine neuen Episoden mehr. Die alten Sendungen werden aber weiterhin ausgestrahlt und auf CD vermarktet. Was macht ein 35 Jahre altes Konzept heutzutage so erfolgreich?
Der Reiz besteht darin, dass es um etwas so Altehrwürdiges wie die Bibel geht. Sie bietet Stoff, der nie an Aktualität verlieren wird. Politische Unruhen und Revolutionäre wird es immer geben. Und genau so ein Mensch war Jesus Christus.

Die Sendung lässt sich nur schwer einem bestimmten Genre zuordnen. Sie hat trotz aller Ernsthaftigkeit etwas sehr Amüsantes. Würden Sie sie als Comedy bezeichnen?
Definitiv nicht. Einiges ist ähnlich wie bei Comedy. Zum Beispiel die Kürze der Tracks, die zwischen zwei und sieben Minuten lang sind. Natürlich nehmen wir uns als Journalisten selbst auf den Arm; parodieren gewissermaßen den Radio-Journalismus. Wir wollen den Hörer aber nicht nur unterhalten, sondern auch über die Gesellschaft und die politischen Ereignisse von damals informieren. Ich würde »Wissenschaftliche Fiktion« dazu sagen.

Sie haben zeitgenössische Begriffe wie »Sozialhilfeempfänger« oder »Terrorist« verwendet. Das passt so gar nicht zur Sprache der Bibel.
Dadurch dass wir die moderne journalistische Wortwahl beibehalten haben, wirkt die Berichterstattung viel authentischer. Wir wollten so tun, als würden wir über heutige Ereignisse berichten. Wenn arme Bürger Sozialhilfeempfänger und Verbrecher Terroristen genannt werden, findet der Hörer außerdem eher einen Bezug vom heutigen zum damaligen Zeitgeschehen.

Die Angaben in den Reportagen fallen sehr detailgetreu aus. Wie haben Sie zum Beispiel recherchiert, dass Christus bei der Kreuzigung einen römischen Offiziersmantel trug?
In diesem Fall haben wir historische Zeichnungen verglichen. Wie Schauplätze damals aussahen, wussten wir größtenteils durch Berichte von Ausgrabungen. Einige Orte habe ich auch selbst besucht. Viele Angaben zu Daten und Fakten finden sich außerdem in der theologischen Literatur. Im Prinzip arbeiten Journalisten ähnlich wie Wissenschaftler, nur ein bisschen schneller.

Haben Sie nie daran gedacht, »Radio Tyrus« auf einem christlich orientierten Sender auszustrahlen?
Als die Sendung produziert wurde, hat es solche Sender noch nicht gegeben. Ich hätte so etwas aber auch nie getan. Die Sendung sollte eher etwas Historisches haben und absolut tendenzfrei sein. Wir wollten schließlich keine Religion predigen, sondern die Bibel Leuten zugänglich machen, die das Hintergrundwissen nicht haben.

Hat sich der Radio-Journalismus seit den 70er-Jahren stark verändert?
Ja. Vor allem die Radio-Reportage ist vom Aussterben bedroht. Außer im Sport gibt es solche Berichterstattung kaum noch. Heutzutage will der Hörer nicht mehr live dabei sein, sondern knapp und präzise über das Nötigste informiert werden.

Können Sie angehenden Journalisten Tipps für gelungene Interviews und Reportagen geben?
Als Reporter ist es wichtig, ein Gespür für die Atmosphäre zu haben und sie präzise zu beschreiben. Außerdem sollte man frei sprechen und gut improvisieren können. Im Studio genügt es nicht, einen Text einfach nur herunterzulesen. Wir haben, vor allem bei den ersten Sendungen, vieles live gespielt und entsprechend improvisiert. Wir haben beim Recherchieren viel gelernt. Es war sozusagen unser eigener Geschichtsunterricht. Die Produktion hat uns sehr viel Spaß bereitet. Spaß an der Sache ist überhaupt das Wichtigste für einen guten Journalisten.
 


mic6Radio Tyrus: Jesus und Barabbas

 


»Radio Tyrus« wurde von 1973 bis 2003 für den SFB, später RBB, produziert und wird weiterhin auf dem RBB ausgestrahlt. Ein kleiner Teil der Produktionen ist bei Bear Family Records auf CD erschienen und kann beispielsweise über Amazon bestellt werden.