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»Sprechtraining ist immer individuell«

Interview mit Michael Rossié, Sprechtrainer

Von Katja Lettmann

 

Was sind die sprachlichen Grundvoraussetzungen, um beim Radio arbeiten und auch on air sprechen zu können?
Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern wird heute eher mehr ausgebildet als weniger. Aber wenn man Hochdeutsch spricht und hat eine gut sitzende und wohlklingende Stimme, das erhöht sicher die Chance, genommen zu werden. Wenn jemand krächzt oder furchtbar nuschelt – das wären keine guten Voraussetzungen.

Kann man Dialekt durch Sprechtraining wegbekommen?
Ein Dialekt kann sehr gut wegtrainiert werden. Das hängt davon ab, wie musikalisch jemand ist. Wer musikalisch ist, hat damit weniger Probleme. Wenn jemand eher unmusikalisch ist, dauert es unter Umständen länger. Grundsätzlich kann aber jeder Dialekt fast zu 100 Prozent beseitigt werden.

Wie läuft das klassische Sprechtraining bei Ihnen ab?
Jemand bekommt einen Text, den liest er. Dann gibt es verschiedene Bereiche, die ich mir ansehe: den Klang der Stimme, das Hochdeutsch – und: Was macht derjenige mit dem Text? Wie liest er ihn? Wir lesen so, wie wir es in der elften Klasse zum letzten Mal gemacht haben. Da hat der Lehrer immer darauf geachtet, dass es langsam, laut und deutlich ist. Damit kann man beim Radio aber nicht kommen. Da kommt es auf wesentlich mehr an. Beim Hörer muss was hängen bleiben oder müssen Emotionen erzeugt werden. Der nächste Schritt wäre, ihm beizubringen, wie er Sätze richtig einteilt, wie er Pausen und Betonungen setzt und vielleicht auch bestimmte Gefühle vermittelt.
Im Prinzip kann man nie sagen, wie man mit jemandem arbeitet, weil das immer ganz individuell ist. So kann der eine die Wörter »Authentizität« oder »Regisseur« locker aussprechen, der andere braucht da 20 bis 25 Minuten Übung dazu.

Gibt es auch hoffnungslose Fälle?
Ja, die gibt es. Es gibt zum Beispiel Sprachfehler, die nur schwer zu bekämpfen sind, wie zum Beispiel »S«-Fehler, oder wenn das stimmhafte mit dem stimmlosen »S« verwechselt wird. Bei manchen Menschen liegt es aber nicht nur am Sprechen oder an der Aussprache. Ein großes Problem ist oft auch das Alter: Wenn sich einer mit 40 noch entscheidet, von der Bank zum Radio zu wechseln, dem würde ich auf jeden Fall abraten.

Was stört Sie am meisten, wenn Sie Radio hören?
Ach, da gibt es eine Menge. Das fängt an bei Betonungsfehlern, zum Beispiel wenn jemand KILOmeter statt KiloMETER sagt. Oder wenn Präpositionen betont werden, zum Beispiel auf dem Marienplatz, am Mikrofon — das kann ich nicht haben.

Was raten Sie Berufseinsteigern?
Ganz wichtig ist, vorher einmal ins Radio reinzuriechen. Egal, ob das jetzt ein Tag ist oder jemand ein Praktikum macht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele ganz falsche Vorstellungen davon haben, wie es beim Radio zugeht.

Zum Schluss noch zwei »Zungenbrecherschnellsprechübungssätze«:
»Wer gegen Aluminium minimal immun ist, genießt Aluminium-Minimal-Immunität.« oder »Österreichisch tschüss heißt tschechisch tschö.«


 

Weiterführende Literatur:

Michael Rossié: Frei sprechen in Radio, Fernsehen und vor Publikum. Ein Training für Moderatoren und Redner. (5. Aufl. 2014)

Michael Rossié: Sprechertraining. Texte Präsentieren in Radio, Fernsehen und vor Publikum. (7. Aufl. 2013)

 

Links zu den Online-Auftritten der Rossié-Bücher „Frei sprechen“ und Sprechertraining“ sowie zum Buch „Online-Journalismus“. Michael Rossié gibt darin Beispiele für seine Arbeit  als Sprech-Trainer.

http://www.onlinejournalismus.org/gelbe-reihe/frei-sprechen/sehen.html (Video-Interview mit Michael Rossié.)

http://www.onlinejournalismus.org/gelbe-reihe/sprechertraining/hoerbeispiele.html (Hörbeispiele)

http://www.sprechertraining.de/de/zur-unterhaltung/achtung-leserfallen/#c37 (Fallen, in die Leser nicht tappen sollten)