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»Die Spielregeln haben sich geändert«

Interview mit Jan Eggers, Projektredakteur Multimedia bei hr-online

Von Bettina Zimmermann

 

Welche Radio-Sendung hören Sie am liebsten, Herr Eggers?
Verrückterweise eine, die gar kein Radio ist: das Netzradio last.fm (Musikdienst, bei dem die Nutzer ihr »Lieblingsradio«/Musikprofil über eine eigene Musiksammlung selbst erstellen, Anm. der Red.). Das gilt aber nur, wenn ich Musik hören will. Beim Sport: die in ihrer Live-Dramaturgie unübertreffliche Bundesligaschalte. Ansonsten bin ich ein großer Fan von Inforadio – und höre mich mitunter an Themenfeatures wie »Der Tag« (hr) fest.

Früher musste, wer verreiste, meist auf seinen Lieblingssender verzichten. Inzwischen, im Zeitalter von Podcasts, Webradio und Streams ist das Wunschprogramm überall und jederzeit verfügbar. Damit dürfte sich auch der Beruf des Radio-Journalisten verändert haben. Was haben die Radio-Macher von früher und heute noch gemeinsam?
Zunächst: ein Paar Ohren und ein Gehirn dazwischen. Auch das Handwerkszeug ist ja so anders nicht. Aufnahme- und Studiotechnik sind billiger, einfacher, allgegenwärtiger geworden, und die Techniken beim Einsatz von O-Tönen sind dieselben wie vor der großen Vernetzung.

Was uns zum Stichwort »crossmediales Arbeiten« bringt: Welche Kernkompetenzen muss ein Radio-Journalist heute zusätzlich mitbringen?
Zum einen darf er nicht mehr nur Radio-Journalist sein, sondern muss sich als jemand verstehen, der an Inhalten arbeitet und nicht primär an einem Medium. Und dann: Er/sie muss begreifen, dass sich die Spielregeln geändert haben, dass der Journalist als Gatekeeper und Autorität der Vergangenheit angehört. Zwar ist es immer noch unsere Hauptaufgabe, auszuwählen – das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Aber das Privileg, die Ersten und Einzigen zu sein, die Bescheid wissen, ist weg. Also Kommunikationskompetenz statt Sendungsbewusstsein. Zudem sehen wir uns weltweiter Konkurrenz ausgesetzt, und zwar harter Konkurrenz. Auch von vermeintlichen Amateuren. Um den Autor Chris Anderson zu zitieren: »Ein leidenschaftlicher Amateur schlägt den gelangweilten Profi fast immer.« Heißt: Dass man uns zuhört, müssen wir uns verdienen. Durch Leidenschaft, durch gründliche Arbeit und größtmögliche Transparenz.

Ohne einen Wiedererkennungswert wird sich ein Radio-Macher also kaum von der Konkurrenz abheben können?
Umso wichtiger ist es meiner Meinung nach geworden, eine eigene Stimme zu entwickeln. Und damit meine ich nicht nur den Klang und die Sprechweise der eigenen Worte, sondern auch das eigene Profil. Das, was mich als Radio-Macher auszeichnet und unverwechselbar macht: die Art, an Themen heranzugehen und zu texten, mein Fachwissen, meine Vernetzung mit anderen – online und on air.

In einem Audioportal sind die Radio-Beiträge angeteast und mit Hintergrund- informationen angereichert. Sie können um weitere Audioclips – wie Interviews mit Interpreten oder Autoren – ergänzt und verlinkt sein. Zum Beispiel auf von Usern erstellte Inhalte. Wo verläuft da die Trennung zwischen Hörfunk- und Online-Redaktion?
Im Idealfall gibt es keine, sondern alle arbeiten an einem Angebot zusammen, das quer durch die Medien aus einem Guss daherkommt und die einmal produzierten Inhalte mit den jeweiligen Stärken des Mediums optimal liefern kann. Radio-Macher bekommen durch das Internet eine Reihe neuer Möglichkeiten. Sie müssen begreifen, dass der Online-Auftritt keine Konkurrenz ist und kein lästiges Anhängsel, sondern immer mehr der Resonanzraum, durch den ihre Arbeit on air erst Druck entwickelt.

Welche Rolle wird das klassische Medium »Radio« angesichts der zunehmenden Bedeutung des Internets in Zukunft spielen?
Ich zitiere noch einen Journalisten, diesmal Mark Twain: »Prognosen sind immer dann besonders schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen.« Ich glaube zwar, dass analoges und lineares Radio Bestand haben werden, aber die Reservate werden schrumpfen: Irgendwann werden wir uns selbst beim Zähneputzen und Autofahren zu unseren Wunschinhalten klicken. Und je kleiner die Reservate, je wackeliger die Geschäftsmodelle, desto mehr wird Radio nur eine Facette in medienübergreifenden Gesamtangeboten sein.