Freie Radios als Einstieg
Von Angela Zacher
Eingebettet zwischen Marburgs lärmenden Eisenbahntrassen und romantischen Aussichtstürmchen liegt das backsteinerne Funkhaus von Radio Unerhört Marburg (RUM). Rund 400 Mitglieder engagieren sich inner- und außerhalb des seit 1994 bestehenden Vereins. Laut Satzung verfolgt das nichtkommerzielle Lokalradio unter anderem die Ziele, »kulturelle Vielfalt und Meinungsvielfalt zu gewährleisten« und »allen Schichten der Bevölkerung den Zugang zum Medium Radio zu ermöglichen«.
Wo jeder einzelne Radio-Macher seinen inhaltlichen Schwerpunkt setzt, bleibt jedem selbst überlassen. Neben Musik-, Kultur-, Politik- und mehrsprachigen Sendungen ist RUM auch ein Sprachrohr für Bevölkerungsgruppen, die sich in anderen Medien unterrepräsentiert fühlen. So können zum Beispiel Kinder, Sehbehinderte, politische Querdenker, Homosexuelle und ausländische Mitbürger den Äther nutzen, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.
In nur 18 Stunden zum Radio-Moderator
Den eigenen Zugang zu Radio Unerhört habe ich über meinen Studienkollegen Tobias Wengert bekommen. Im Jahr 2000 gründete er zusammen mit Patricia Dudeck die Musiksendung »Kranschinats« (www.radio-rum.de), die neben alternativer Rockmusik auch Interviews mit internationalen Bands zum Inhalt hat. Als Tobias von meiner Mehrsprachigkeit erfährt, werde ich kurzerhand zur Übersetzerin für englischsprachige Musikgespräche und Texte berufen. Da Patricia 2001 ein Auslandssemester in England einlegt, rutsche ich als Co-Moderatorin der Sendung nach. Zu den schriftlichen Übersetzungen für die Internetseite kommen im Laufe der Zeit auch On-Air-Berichte über Festivals und Konzertbesuche hinzu. Um mich offiziell Radio-fit zu machen, belege ich einen von Radio Unerhört angebotenen Wochenendworkshop. In nur 18 Intensivstunden können sich hier interessierte Teilnehmer eine gute Grundlage für die Arbeit am Mikrofon erarbeiten. Theorie- und Praxis-Module gewährleisten, dass die zukünftigen Radio-Macher nach Beendigung des Workshops eigenständig eine Sendung fahren können.
Eigeninitiative und Hartnäckigkeit werden gefördert
Wöchentlich eine einstündige Musiksendung zu planen und durchzuführen, erfordert unerschöpfliche Kreativität und Biss. Letzteres hilft, eine energische Überzeugungsfähigkeit zu entwickeln, die in der Radio-Welt dringend benötigt wird.
Freie Radios können im Vergleich zu privaten und öffentlichen Sendern als »Underdogs« bezeichnet werden. Sie sind wegen ihrer begrenzten Reichweite und der niedrigen Hörerzahlen für Plattenfirmen, Pressesprecher oder Tourmanager häufig uninteressant. Deshalb ist es wichtig, Neuerungen, wie zum Beispiel einen bestehenden Internet-Livestream, bekannt zu machen und immer wieder die Bedeutung und Programmqualität der eigenen Sendung hervorzuheben. Da für die einzelnen Sendungen keine finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, müssen anfallende Kosten (wie zum Beispiel Reisekosten) selbst getragen werden.
Der Weg zum privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Nach Beendigung meines Studiums der Medienwissenschaften, Medienpädagogik und Amerikanistik lernte ich durch diverse Praktika die Arbeitsweise der privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kennen. Sendemitschnitte, Interview-Erfahrung, technisches Know-how und Redegewandtheit aus meiner Zeit beim Freien Radio haben als »Türöffner« gedient.
Als Redaktionspraktikantin sammelte ich bei Hit Radio FFH und You-FM wertvolle Erfahrungen über deren Senderstrukturen und Themenauswahl. Recherchearbeit, Kurzinterviews und deren Aufbereitung gehörten ebenfalls zu meinem Aufgabenbereich. Da die Musikauswahl der meisten privaten und öffentlich-rechtlichen Sender an eine festgelegte »High Rotation« gebunden ist, haben Musikredakteure dort nur wenig Einfluss und Mitspracherecht. Um längerfristig als Radio-Journalist tätig zu sein, rate ich deshalb, sich früh für ein sachliches Fachgebiet zu entscheiden. Denn im Gegensatz zu Musikredakteuren sind Politik-, Sport- und Finanzredakteure freier in ihrer Themenwahl und keinem gängigen Musikgeschmack verpflichtet.
Vom Hörsaal hinters Mikro: Interview mit Angela Zacher