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Hörfunk im Nachkriegsdeutschland

Von Hendrik Muth
 

Ein neues Deutschland war das Ziel der Alliierten. Der Rundfunk musste dafür nach seinem Missbrauch als Propagandamittel neu aufgebaut werden. Bei der Entscheidung zwischen staatlichem und privatem Rundfunk wählten die Westmächte einen dritten Weg.
 

Neubeginn und Wiederaufbau

Vom Ende des Zweiten Weltkriegs hat ein Teil der Deutschen aus dem Radio erfahren. Mit gebrochener Stimme las der Sprecher des Senders Flensburg die letzten Worte eines Regimes ab, das es immer verstanden hatte, sich aufdrängende Fragen nach Kriegsverlauf und Verantwortung für den millionenfachen Tod mit hohlem Pathos zu übertönen: »Aus dem Hauptquartier des Großadmirals, den 9. Mai 1945. Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Damit ist das fast sechsjährige heldenhafte Ringen zu Ende.«

Die Niederlage sollte nach dem Willen der Alliierten die Geburtsstunde eines neuen Deutschlands werden. Bei der dafür nötigen Umerziehung der deutschen Bevölkerung spielten die Medien eine zentrale Rolle. Um einen Neuanfang frei vom Einfluss alter NS-Seilschaften zu ermöglichen, wurden zunächst alle deutschen Medien verboten. Während für die Presse mit dem Lizenzverfahren ein festes Konzept bei Kriegsende bereits ausgearbeitet war, blieben die Vorstellungen bezüglich des Rundfunks vage: dezentral und außerhalb der Kontrolle der Regierung, so die angedachten Eckpunkte. Die Folge war, dass die Praxis das weitere Geschehen bestimmte. In den einzelnen Besatzungszonen hatten Rundfunktrupps damit begonnen, eigenständige Programme aufzubauen.

In der britischen Zone wurden im Spätsommer 1945 diese Einzelunternehmungen als erstes zu einem gemeinsamen Vollprogramm mit dem Namen Nordwestdeutscher Rundfunk (NWDR) zusammengefasst.

In Berlin bemächtigten sich unter Aufsicht der sowjetischen Militäradministration geschulte Kader des Sitzes des ehemaligen Reichsrundfunks Masurenallee und begannen mit dem Aufbau des Berliner Rundfunks, dem späteren Rundfunk der DDR. Die Amerikaner reagierten mangels eigener Sendeanlagen zunächst mit einem Drahtfunkprogramm, das unter dem Namen DIAS (Drahtfunk im amerikanischen Sektor) auf Sendung ging. Es wurde nach dem Aufbau eigener Sendekapazitäten im September 1946 in RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) umgetauft und sollte zum Vorbild für die westdeutsche Rundfunkszene werden. Unter dem Motto »Eine freie Stimme der freien Welt« sendete der RIAS ein innovatives Programm mit hohem Politikanteil, dessen Zielpublikum auch in der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR zu Hause war. Nach der Gründung der Bundesrepublik gaben sich hier westdeutsche Politiker und Intellektuelle die Klinke in die Hand. Auch in musikalischer Hinsicht setzte der RIAS Maßstäbe: Mit dem »Schlager der Woche« sendete er die erste deutsche Hitparade.

Währenddessen entwickelten die Briten ein Konzept für eine Struktur des Rundfunks. Nach dem Vorbild der BBC sollte er gebührenfinanziert sein und von Rundfunkräten kontrolliert werden, die sich aus Vertretern aller gesellschaftlichen Gruppen zusammensetzten. Nachdem die Amerikaner die Übernahme des britischen Systems beschlossen hatten und die Franzosen der Abgabe eines Teils ihrer Rundfunkkompetenzen ebenfalls zustimmten, trat das neue System ab 1948 offiziell in Kraft.
 

Radio in der frühen Bundesrepublik

Mit Inkrafttreten der neuen Rundfunkordnung wurden in den einzelnen Ländern Landesrundfunkgesetze erlassen, die zur Gründung eigenständiger Landesrundfunkanstalten führten. Ein Jahr nach Gründung der Bundesrepublik sammelten sich die einzelnen Landesanstalten unter dem Dach der »Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland« (ARD). In diesen Anfangstagen war das Radio begehrte Spielwiese der Politik. Es konnte passieren, dass der Bundeskanzler, erbost über einen Bericht, persönlich an den Intendanten schrieb und eine Entschuldigung forderte. 1950 wurde unter dem Titel »Die Parteien haben das Wort« eine Sendung im NWDR geschaffen, in der den Parteien zweimal wöchentlich die Möglichkeit zur Selbstdarstellung eingeräumt wurde. Mit dem Aufkommen des Fernsehens änderte sich das Radio-Programm ab Mitte der 60er Jahre nach und nach grundlegend. Aus vielen »Einschaltprogrammen« wurden die »Begleitprogramme“, als Hintergrundmedium bei anderen Aktivitäten genutzt werden konnten (siehe Econ-Buch »Radio-Journalismus«, Kapitel »Programme«). Die Wortblöcke wurden kürzer, Musik rückte immer mehr in den Vordergrund, regelmäßig wurden Nachrichten gesendet. Die Popkultur erhielt Einzug in den Rundfunk. Die Moderatoren oder Diskjockeys der neuen Sendungen mussten jung und frech sein; die neuesten Hits waren Pflicht.
 

Das duale System

Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde 1981 der Weg frei für den privaten Rundfunk in Deutschland. Die Länder änderten in den darauf folgenden Jahren ihr Rundfunkrecht und führten Landesmedienanstalten als Kontrollgremien für die Privaten ein. In der Folgezeit gründeten sich viele lokale und überregionale private Radios.

Massentaugliche Popmusik und der »Spiel und Spaß«-Faktor stehen von Anfang an bei fast allen kommerziellen Sendern im Vordergrund, dazwischen Informations- und Servicehäppchen, sowie Werbeblöcke. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten reagieren auf die private Konkurrenz mit Differenzierung ihrer Inhalte. Einerseits bauen sie ihre so genannten Servicewellen aus, deren Programm dem der Privaten ähnelt. Andererseits installieren sie reine Informations- und Kulturprogramme und richten sich so auch nach Zielgruppen aus, die von den Privaten aus kommerziellen Gründen nicht bedient werden.

 

Weiterführende Links:

Informationen und Audio-Beitrag zum NWDR
»Oldies TopTen«: Mitschnitte von RIAS und anderen historischen Sendern
Servicewellen: B3-Soundfiles von Thomas Gottschalk aus den 70er-Jahren