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»There is music in the air« – Die frühen Radio-Tage

Von Hendrik Muth

 
Zu Beginn des Radio-Zeitalters bestimmten geniale Erfinder und engagierte Amateure das Geschehen. Aber sowohl die großen Unternehmen als auch der Staat erkannten schnell die Möglichkeiten des neuen Mediums.
 

Radio-Pioniere der ersten Stunde

Die erste Radio-Sendung hatte kein Publikum. Nach eigener Aussage hat Professor Reginald Aubrey Fessenden am 24. Dezember 1906 erstmals mit menschlicher Stimme drahtlos zu seinen potenziellen Hörern gesprochen. Auf dem Programm stand, dem Heiligen Abend angemessen, Erbauliches: Nach einer kurzen Einleitung folgte Händels »Largo«, abgespielt von einem Phonographen aus Edisons Manufaktur. Der Professor trug anschließend »O, Holy Night« auf der Violine vor, rezitierte einige Bibelstellen, um am Ende dieses historischen Abends ein schönes Weihnachtsfest zu wünschen.

Zielpublikum waren die vor Boston dümpelnden Bananendampfer der United Fruit Company und die Kriegsschiffe der US-Navy. Diese hatten Funkanlagen für die neu entdeckte Telegrafie an Bord. Leider finden sich weder in den Aufzeichnungen von Amateurfunkern, noch in den Logbüchern der Schiffe Hinweise auf den historischen Moment. Keine Zeitung schrieb damals über das Debüt des neuen Mediums und kein Zeitzeuge konnte sich das liebevoll zusammengestellte Programm ins Gedächtnis rufen. Dennoch bleibt Fessendens Geschichte eng mit dem Entstehungsmythos des Radios verknüpft.

Sein Konkurrent um den Titel »Vater des Radios« schaffte es dagegen zeitnah in die Medien. »There is music in the air”, schrieb die »New York Tribune” am 15. Mai 1907. Lee De Forest, Elektroingenieur, Naturwissenschaftler und Sohn eines Pastors, war es gelungen ein Potpourri aus Musik und Sprache zu übertragen. Erste Hörer fand er unter den Amateurfunkern.

Drei Jahre später gelang ihm der große Wurf. An zwei aufeinanderfolgenden Tagen sendete er die Oper »Tosca« und ein Konzert des Weltstars Enrico Caruso live aus dem Metropolitan Opera House in New York. Der 12. Januar 1910 gilt seitdem als eigentliche Geburtsstunde der modernen Rundfunkübertragung.
 

Vom Amateurfunk zum Big Business 

Bis zum Ersten Weltkrieg waren in den USA schon über 1000 Amateursender in Betrieb. Lokales und Informationen rund um den sonntäglichen Kirchgang standen bei den meisten Sendungen im Mittelpunkt. Erste Stationen begannen 1919 in meist unregelmäßigen Abständen Musik, Boxkämpfe und Football zu übertragen.

Als erste kommerzielle der Welt machte sich die KDKA aus Pittsburgh einen Namen. Ihr Gründer Frank Conrad schloss als Amateurfunker die ersten Sponsoringverträge mit lokalen Radio-Zubehör- und Schallplattenläden und hatte bei seinen regelmäßigen Musikübertragungen eine treue Hörerschaft.

Der Elektroriese Westinghouse, der eine neue und billigere Generation von Radio-Geräten auf den Markt bringen wollte, machte ihn zum Verantwortlichen für den neuen Sender KDKA. Erster Sendetermin war der zweite November 1920, Tag der Präsidentenwahl. Es waren etwa 1000 Menschen, die am ersten Tag das Programm zum Wahlausgang verfolgten. Die nächsten Präsidentenwahlen wurden bereits von 400 Radio-Stationen übertragen. Geschätzte 20 Millionen Zuhörer verfolgten die Wahlsendungen.

Nachdem die Riesen der Elektrobranche sich Anfang der 20er Jahre auf einheitliche Standards geeinigt hatten, war es mit der dilettantischen Gründerromantik der Amateurtage vorbei. Professionelle Programmdirektoren und Agenturen, die Musiker, Schauspieler, Sprecher und Autoren managten, bestimmten jetzt das Geschehen.

Mit NBC wurde das erste landesweite Network geschaffen. Die Senderkette baute ihre marktbeherrschende Stellung bis in die 40er_Jahre aus. Inhaltliches Flaggschiff der NBC war in den späten 20er-Jahren die 15-minütige Sendung »Amos ’n‘ Andy«. Zwei Musiker trugen ihre Lieder vor und machten dazwischen ausgiebig Witze.
 

Staat und Rundfunk: Die deutsche Misere

Begann die Radio-Geschichte in den USA angeblich an einem friedlichen Weihnachtsabend, so war es in Deutschland der Krieg, der die ersten Hörfunkerzeugnisse hervorbrachte. Ab dem Frühjahr des Jahres 1917 konnten Funker an der Westfront Musik- und Sprachsendungen empfangen.

Im Gegensatz zu den USA war der Rundfunk in Deutschland von Anfang an staatlich kontrolliert. Seit dem Telegrafengesetz von 1908 war es ohne Genehmigung des Reiches nicht erlaubt, elektrische Anlagen zur drahtlosen Nachrichtenübertragung zu errichten oder zu betreiben. Zuständig für die Konzessionen war die Reichspost. Ein posteigener Langwellensender in Königs Wusterhausen sendete daher am 22. Dezember 1920 ein Instrumentalkonzert als erste offizielle Rundfunkübertragung Deutschlands.

Die ersten privaten Konzessionen wurden 1923 vergeben. Mit den Worten »Hier ist Berlin, Voxhaus«, begann am 29. Oktober 1923 der erste Anlauf für den privaten Rundfunk in Deutschland. Dieser war allerdings von Anfang an eng mit dem Reichspostministerium verbunden. Trotz der ohnehin schon strengen Regularien wurden die Gesetze 1926 noch einmal verschärft.

Das Radio-Programm wurde offiziell der staatlichen Zensur unterworfen. Die liberale Ära der privaten Radio-Stationen fand 1932 ihr vorzeitiges Ende, als der gesamte deutsche Rundfunk verstaatlicht wurde.

 

Weiterführende Links: 

Amos ’n‘ Andy auf YouTube
Radio-Reportage zum Tod Stresemanns und weitere Tondokumente aus der Weimarer Zeit