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360 Grad – Rundherum unterwegs

Zusammenfassung

Glaubwürdigkeit, „das ganze Bild zeigen“: 360 Grad Video drehen, bearbeiten, veröffentlichen. Welche Apps, welche Technik eignet sich für die mobile Produktion unterwegs? Wie funktioniert Storytelling in 360? Die Nutzung von 360-Grad-Material im Journalismus steckt noch in den Kinderschuhen. Rundum-Fotos und -Videos waren bis vor kurzem weder in erträglicher Qualität zu produzieren noch zu konsumieren. Doch dies hat sich rasant verändert: 360-Grad-Kameras, die sehr gute Fotos und akzeptable Videos drehen, sind für unter 400 Euro zu haben. Die Produkte auf dem Markt richten sich mittlerweile mehr an die breite Masse der Konsumenten als an spezialisierte Medien. „360 Grad“ startet seine Markteroberung von „unten“, vom Kunden, mit Fotos von Geburtstagspartys, Hochzeiten und Familienurlauben. Konsumiert werden die Bilder auf Mobiltelefonen, die einige für die bessere Wahrnehmung des räumlichen Eindrucks in „Cardboards“ oder andere Gestelle stecken, oder mit VR-Brillen wie dem „Oculus Rift“, „Samsung 360 Gear“ oder „HTC Vive“. Cardboards und VRBrillen verengen das Sichtfeld und verstärken den Eindruck, in eine Welt einzutauchen und sich in ihr bewegen zu können – die „Immersion“. Perfektioniert hat diese Immersion die Spiele-Industrie . Viele Gaming-Enthusiasten tauchen mit Brillen in die virtuelle Realität (VR) ab. „VR“ geht weiter als 360-Grad-Video (und noch weiter als 360-Grad-Foto): Im virtuellen Raum kann der Nutzer sich frei bewegen, umherlaufen – er kann (je nach Programmierung) Dinge anfassen, hochnehmen – kurzum: interagieren. Die Nutzung von VR-Brillen wird aus meiner Sicht jedoch kein Massenphänomen werden. Die Nutzung auf bewegten Smartphones wird jedoch mehr Nutzer finden – weil sich 360 Grad ebendort gut nutzen lässt, wo Menschen ohnehin Nachrichteninhalte nutzen (nämlich auf dem Telefon). Im 360-Grad-Raum ist der Betrachter allerdings an den Standpunkt der Kamera gebunden – er sieht den Raum jeweils von der Position aus, an der die Kamera ihn auch aufgenommen hat. Er kann sich in diesem Bild umschauen und er kann bei Qualitätsverlust in das Bild hineinzoomen, er kann sich aber nicht bewegen. Es gibt erste Ansätze und Projekte für VR-Journalismus – Inhalte vermittelnde virtuelle Szenarien: Das „Wall Street Journal“ hat beispielsweise eine Achterbahnfahrt simuliert, die das Auf und Ab des Börsenindex NASDAQ illustriert. Die US-Regionalzeitung „Des Moines Register“ hat das Leben einer Familie in Iowa in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in VR abgebildet, während das Magazin der News York Times einen Rundgang durch Street Art in Manhatten programmiert hat. Darum soll es hier aber nicht gehen: Mit „mobilem Journalismus“ hätte das wenig zu tun, sehr viel mehr dagegen mit tage- und wochenlanger Programmierarbeit am Bildschirm. 360-Grad-Videos sind nicht virtuelle Welten, sondern das reale, gefilmte Abbild unserer Welt – in der Rundumsicht, einer gefilmten Sphäre in 360 Grad, horizontal und vertikal, so etwas wie ein von innen betrachtbarer Bild- oder Videoball. Dieser lässt sich mit geringem Aufwand auch unterwegs – mobil – produzieren: Fotos sogar mit der entsprechenden App per Handy, Videos mit kleinen Zusatzkameras. Obwohl die technischen Mittel vorhanden und erschwinglich sind, haben sich viele professionelle Medien in Deutschland noch nicht wirklich aufgemacht, 360-GradVideos (und Fotos) für sich zu nutzen. Einige gute Beispiele liefert dagegen „Ryot News“: Mit „Welcome to Aleppo“ produzierte das US-amerikanische Startup ein 360-Grad-Videos aus den vom Krieg zerstörten Straßen der syrischen Stadt Aleppo. Die Stimme einer jungen Frau erzählt die jüngste Geschichte der Stadt. Etwas problematisch ist aus meiner Sicht der Umgang mit Archivmaterial, das Ryot in das 360-Grad-Video eingebunden hat, dass aber die Immersion zerstört. Die Huffington Post hat Ryot kürzlich aufgekauft mit dem Ziel, 360-Grad-Journalismus in alle Huffington-Post-Büro weltweit zu bringen – ein Hinweis darauf, wie sehr die Zahl von 360-Grad-Videos im Journalismus wachsen wird. Vice hat den „Marsch der Millionen“ am 13. Dezember 2014 in Washington abgebildet, bei dem Zehntausende forderten, die Polizei müsse Fehler bei Einsätzen offenlegen und Verantwortung dafür übernehmen. Eindrucksvoll ist auch die Internetseite Hongkongunrest.com, die die Pro-Demokratie-Proteste in Hongkong 2014 in 360 Grad abbildet. Die deutsche BILD, die ja auch beim Livestreaming Pionierarbeit geleistet hat, schickte ihren Krisenreporter Paul Ronzheimer mit einer 360-Grad-Kamera auf ein Flüchtlingsschiff im Mittelmeer – das Material vermittelt sehr intensiv, wie eng Flüchtlinge auf dem Schiff reisen und wie gefährlich die Passage ist. Auch der Guardian hat interessante Experimente mit 360-Grad-Video produziert – beispielsweise das sehr reduzierte Projekt „6 x 9“, dem Blick in eine Isolationszelle in einem Gefängnis. Das Guardian-Projekt fällt auch durch eindrucksvolle Höreindrücke auf – eine Achillesferse von 360-Grad-Video: Denn der Markt für sphärischen Ton kommt erst sehr langsam in Gang. Das macht das Storytelling in 360 Grad schwer, weil der Betrachter seine Blickrichtung ständig ändern kann, ohne von räumlich wahrnehmbarem Audio geleitet zu werden. 360-Grad-Videos liefern einen Zusatznutzen: Sie werden lineares Fernsehen und Online-Videos aus meiner Sicht auf absehbare Zeit nicht ablösen. Sie können aber helfen, eine wichtige Aufgabe im Journalismus besser zu erfüllen: nämlich Grenzen zu überwinden. Menschen bekommen einen immersiven, intensiven Einblick in eine Welt, die ihnen sonst verschlossen bliebe – weil sie nicht für jedermann zugänglich ist (wie die Steuerkabine eines Hafenkranes oder eine Sammelunterkunft für Flüchtlinge), weil sie zu gefährlich ist (wie ein Kriegs- oder Krisengebiet), oder weil soziale Grenzen sie umgeben (wie zum Beispiel die Wohnungen von Menschen, die in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze leben). Das ganze Bild zeigen: Viele Medien sehen sich (zumindest in Deutschland) einer Glaubwürdigkeitsdebatte ausgesetzt: „Lügenpresse“ schallt ihnen entgegen, und immer wieder stellen Kritiker in Frage, ob Medien „das ganze Bild“ zeigen – buchstäblich in Fernsehen und Online, im übertragenen Sinne gilt diese Frage aber auch für Hörfunk und Print. In der Tat bedeutet Journalismus, auszuwählen – das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen, Fakten zu berücksichtigen, die der Bericht braucht, und andere wegzulassen, die überflüssig sind. Diese Auswahl gehorcht zwar bestimmten objektivierbaren Kriterien – beispielsweise den Nachrichtenwertkriterien. Ein sorgfältig arbeitender Journalist wird so auswählen, dass er die angelegten Kriterien transparent und für sein Publikum nachvollziehbar macht. Dennoch wird es immer Ansatzpunkte für Kritik an diesem Auswahlprozess geben.

Als nach den Anschlägen auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ Hunderttausende in Paris für Toleranz und gegen Terror demonstrierten, kamen auch Dutzende Politiker nach Paris: Auch sie marschierten – allerdings nicht an der Spitze des Hauptdemonstrationszuges, wie erste Berichte und Fotos suggerierten. Die Politiker trafen sich in einer abgesperrten Seitenstraße und bildeten einen gesonderten Demonstrationszug – aus Sicherheitsgründen. Erst spätere Berichte illustrierten dies. Hier und bei vielen anderen Anlässen könnten 360-GradBilder den Entstehungsprozess eines Berichtes transparent machen: Der Zuschauer kann sich selbst ein Bild davon machen, wie es vor Ort wirklich aussah – wie sehr die Arbeit von Journalisten beispielsweise eingeschränkt wurde, als US-Präsident Obama 2016 die Hannover-Messe besuchte: Im 360-Grad-Video würde der Zuschauer nicht nur den winkenden Obama, sondern auch die eingepferchte Journalistenmeute hinter den Sicherheitsabsperrungen sehen. 360-Grad-Videos (und -Fotos) können also einen Beitrag zu Transparenz leisten und Medien und ihren Inhalten zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen. Zudem bieten sie eine Chance, neue Zielgruppen für journalistische Inhalte zu erschließen, beispielsweise Nutzer, die dieselbe Ausrüstung und dieselben immersive Rezeptionssituation bisher im Gaming schätzten. Der Einsatz von VR und 360-Grad-Bild im Journalismus sollte jedoch verantwortungsvoll erfolgen: Denn die Wirkung einer gut gemachten Immersion kann ungleich stärker als die eines herkömmlichen Videos sein. Dies bedeutet Chance und Risiko zugleich – denn mutmaßlich ist die Gefahr, ein Publikum zu manipulieren, bei 360 Grad / VR deutlich größer als beim linearen Fernsehen. Michael Madary und Thomas K. Metziger haben einen ersten Verhaltenskodex für VR erarbeitet (siehe „Weiterführende Links“ am Ende dieses Kapitels). Mit Blick auf die journalistische VRNutzung schreiben sie: „We should not give the illusion that immersive journalism will tell the whole story about a complex situation.“ Noch sind auch viele praktische Fragen offen, insbesondere mit Blick auf den Aufbau von 360-Grad-Videos, das Storytelling, den roten Faden, sowie den Einsatz von Audio. Es gibt aber viele Argumente, die dafür sprechen, die Chancen und Grenzen von 360-Grad-Videos genauer zu evaluieren, also: die Technik in unterschiedlichen Situationen und Szenarien auszuprobieren. Dies fällt umso leichter, als die erforderliche Technik günstig ist (wenn man auf aufwändige Mehrkameraaufbauten verzichtet und Abstriche bei der Bildqualität hinnimmt) und Facebook und Youtube im Internet 360-Grad-Player bereit halten (sollte das eigene Medienunternehmen diesen nicht für die eigene Website vorhalten). 360 Grad ist auch ein Hype, das neue Medium hat nach meiner Überzeugung aber gute Chancen, zumindest in einigen Bereichen einen festen Platz in der journalistischen Landschaft zu finden.

9.1 360 Grad – per App

Eine App reicht aus: Ohne zusätzliche Hardware lässt sich mittlerweile ein 360-Grad-Foto herstellen. Damit kann das 360-Grad-Bild auch einmal spontan geschossen werden, weil ein Thema, ein Ort sich dafür anbietet. Die Produktion nimmt einige Minuten in Anspruch. Zudem muss die Belichtungssituation einigermaßen ausgeglichen sein, damit alle Teile des 360-Grad-Bildes zu erkennen sind. Android, iOs und Windows bieten entsprechende Apps. Für Android beispielsweise hilft bei einigen Telefonen sogar die generische Kamera-App mit dem „Photo Sphere“-Modus, 360-Grad-Bilder zu erstellen. Gute Ergebnisse liefert zudem die App „Panorama 360“ (Abb. 09-01): Sie starte mit einigen Informationstafeln, bevor der Nutzer sich über Facebook, Google+ oder Email-Adresse einloggt. Eine probeweise Nutzung ist auch ohne Anmeldung möglich. Die Ergebnisse sind akzeptabel, aber nicht atemberaubend.

Zudem liefern die Apps „Photosynth“ (auch erhältlich für Windows-Telefone) und „360 Panorama“ (nur iOs) gute Ergebnisse. Für die Aufnahme zeigt „360 Panorama“ ein grau-schwarzes Raster an, auf dem nach und nach die Teilbilder abgelegt werden. Die meisten Fotos legt die App für den Rundumblick um die vertikale Achse an, Boden und Himmel füllen sich verhältnismäßig schnell. Das fertige Panorama kann in der App betrachtet werden. Über das Kamera-Symbol wird ein neues Bild aufgenommen, das Fotosymbol wechselt zwischen den verschiedenen Darstellungen – der 360-Grad-Ansicht und dem stereografischen, gestauchten Rundumbild (sehr effektvoll). Ein Titel lässt sich über die Sprechblase hinzufügen. Die Bilderreihe öffnet die Übersicht über die bisher gemachten 360-Grad-Panoramen, deren Darstellung sich über die Pfeilsymbole varrieren lässt. Die Bilder lassen sich auf die Plattform der App hochladen oder für den Emailversand oder die Nutzung in der eigenen Gallerie bereitstellen. Veröffentlichen lassen sich die Bilder auf Plattformen, die die Ansicht von 360-Grad-Fotos auch unterstützen. Zum einen bieten die Apps selber solche Plattformen, zu denen von Twitter oder Facebook verlinkt werden kann. Aber auch Facebook selbst stellt 360-Grad-Fotos (in bestimmten Formaten) dar. Zudem bietet unter anderem die App Thinglink (siehe Kapitel 8.2.) die Möglichkeit, 360-GradFotos hochzuladen und mit Text- und Tonanmerkungen zu versehen.

9.2 360 Grad – per Kamera

360-Grad-Kameras nehmen Rundum-Videos auf – oft schon bei einfachem Knopfdruck. Zudem liefern sie Fotos in deutlich besserer Qualität als die oben beschriebenen Apps, weil nicht Dutzende Fotos „zusammengenäht“ („gestitcht“) werden, sondern meist zwei bis vier Aufnahmen von sehr weitwinkligen Linsen zusammengefügt werden, die aufeinander abgestimmt sind. In den vergangene zwei, drei Jahren sind die Kameras deutlich kleiner und deutlich besser geworden. Die ersten Modelle bieten eine Auflösung von 2K (oder sogar 4K) für unter 500 Euro – der Markt entwickelt sich rasant. Weil dieses Buch „mobilen Journalismus“ beschreibt, konzentriere ich mich auf eben diese kleinen, günstigen Kameras, die sich per Smartphone steuern lassen und deren Material sich über ein Smartphone oft direkt auf verschiedenen Plattformen veröffentlichen lässt. Nach oben gibt es kaum eine Grenze: Das Gestell mit sechs Actionkameras, deren Aufnahmen später zusammengefügt werden müssen, ist der Anfang. Ganz oben schließt beispielsweise Nokias Ozo-Kamera für rund 60.000 Dollar das Segment ab. Getrieben wird die Entwicklung der 360-Grad-Kameras derzeit auch von den Smartphone-Herstellern, die ihre Produktpaletten erweitern. Auf dem „Mobile World Congress“ 2016 in Barcelona haben sowohl LG als auch Samsung ihre 360-Grad-Kameras vorgestellt. Die LG360Cam sieht der vom Kamerahersteller Ricoh auf den Markt gebrachten Theta S sehr ähnlich, die einige deutsche Nachrichtenmedien für ihre ersten 360-Grad-Videos genutzt haben. Zwei Fisheye-Linsen bilden eine 360-Grad-Sphäre ab, die direkt in der Kamera „gestitcht“ wird. Dies macht die Produktion der Videos schnell und einfach. Beide Kameras liefern eine gute Fotoauflösung. Die Videoqualität liegt allerdings nur zwischen FullHD und 2K – bezogen auf die gesamte Sphäre. Weil bei der Wiedergabe auf dem Smartphone, in der VR-Brille oder auf Desktop-Computer jedoch jeweils nur Teile davon zu sehen sind (je nach Player ein etwa 40 Grad großer Ausschnitt der 360-Grad-Sphäre), reduziert sich die sichtbare Auflösung auf deutlich weniger als HD. Das ist auf dem Handy noch akzeptabel. Insofern sind die Kameras für kurze, programmbegleitende Projekte gut geeignet. Für die perfekte Immersion per VR-Brillen reicht das produzierte Material jedoch nicht aus.

Eine etwas bessere Auflösung verspricht die Samsung-Gear-360-Kamera mit 3840 x 1920 Pixeln, die allerdings bei Markteinführung nur mit Samsung-Handys genutzt werden konnte. Der Hersteller verspricht eine Erweiterung auf andere Modelle. Daneben gibt es mehrere Kameras, die zum Teil durch Crowd funding-Kampagnen unterstützt wurden, darunter die Giroptic 360Cam: Sie produziert keine echte 360-Grad-Sphäre, sondern lässt eine Fläche am Boden aus. Diese ist oft aber ohnehin entbehrlich, weil dort ein Stativ die Kamera hält. Weitere Kameras sind die 360Fly-Kamera, die etwas größere ALLiecam, deren Hersteller aus dem Bereich Hausüberwachung stammen, sowie teurere Modelle von Kodak (die Kombination von 2 Actionkameras mit anschließendem Stitching). Die „insta360 Nano Compact Mini“-Kamera lässt sich direkt auf das iPhone aufstecken und liefert immerhin eine 3K-Sphäre. Problematisch bei den meisten Kameras ist die Audioaufnahme: Theta S oder LG360Cam nehmen Ton eindimensional auf, sodass der Höreindruck das räumliche Bildempfinden nicht stützen und dazu beitragen kann, sich über Ton in einer 360-Grad-Sphäre zu orientieren. Die Samsung-Gear-360 hat zwar zwei Mikrofone eingebaut, schafft damit aber auch lediglich Stereo-Aufnahmen ohne Raumwirkung. Sennheiser entwickelt derzeit mit „Ambeo“ ein kleines Rundum-Mikrofon, das räumliche Klangeindrücke aufnehmen kann. Die zweite Klippe für 360-GradAudio wird jedoch die Wiedergabe sein: Wer kurze Nachrichteninhalte in 360 Grad auf dem Mobiltelefon nutzt, wird Audio häufig gar nicht hören. Wenn doch, wird er mutmaßlich keine teuren Kopfhörer dabei haben, die 360-Grad-Ton wiedergeben können – wenn der genutzte Player überhaupt räumlichen Klang unterstützt. Zudem unterstützen lange nicht alle Player auch sphärische Audiocodecs, die in den üblichen Videocontainern (wie dem MP4-Format) transportiert werden können.

9.3 360 Grad: Dreharbeiten und Storytelling

Wie sich eine Geschichte in 360 Grad erzählen lässt, wird heiß diskutiert. „What´s your story?“ Gute Stoffe sind auch hier ein Selbstläufer: Bilder, die der Nutzer in seiner Lebenswelt sonst nicht wahrnehmen würde (aus Kriegs- oder Krisengebieten beispielsweise) werden häufig abgerufen. 360-Grad-Videos zu ActionSportthemen sind populär – das NDR Vorabendmagazin Das! hat eine Kytesurfer durch isländische Eisberge surfen lassen. Wir haben im NDR zudem einige Versuche mit einem „Blick hinter die Kulissen“ unseres Mediengeschäfts gemacht: Wie sieht es im Studio aus, wie entsteht eine Nachrichtensendung? Auch das hat Nutzer interessiert. Weil 360-Grad-Videos aus „mobiler Produktion“ im aktuellen Journalismus eher auf Smartphones konsumiert werden als mit 360-Grad-Brille und aufwändiger Ausrüstung, sollte auch die Länge maßvoll gewählt werden: Gute Erfahrungen haben viele Produzenten mit kürzeren Filmen mit bis zu 3 Minuten Länge gemacht.

Auch ARTE hat sich trotz aufwändiger Produktion für ein nur siebenminütiges Video entschieden, das eine Arktis-Dokumentation des kanadischen Filmemachers Thomas Wallner begleitet (polarsea360.com). Der deutschstämmige Wallner beschäftigt sich mit seiner kanadischen Firma „Deep Inc.“ seit langem damit, wie sich Geschichten in 360-Grad erzählen lassen. Er hat einen eigenen Player entwickelt, der dem Zuschauer den Rundumblick gestattet, wenn Landschaft, Szenen, Bilder zu sehen sind. Spricht jedoch ein Protagonist (in Wallners Arktis-Doku beispielsweise ein Innuit), hebt Wallner den 360-Grad-Eindruck auf und führt den Zuschauer wieder „klassisch“ enger zum Protagonisten, der gerade spricht: ein interessanter Ansatz, Zuschauer in einem 360-Grad-Erlebnis zu leiten, wenn auch der immersive Eindruck hin und wieder gestört wird. Wie schwierig die Dreharbeiten waren, hat Thomas Wallner bei einer Diskussionsveranstaltung berichtet: Er und sein Team haben die Kamera aufgebaut und sich dann schnell versteckt, weil es bei 360-Grad-Videos ja eben kein „hinter der Kamera“ gebe. Technisch ist dies möglich, weil die meisten Kameras sich per App vom Smartphone aus fernsteuern oder schlichtweg per Knopfdruck (und dann: verstecken!) auslösen lassen. Ein ethisches Dilemma sieht darin dagegen Sarah Redohl, die sich an der Missouri School of Journalism mit mehreren 360-GradProjekten beschäftigt hat: Ist es angemessen, sich als Crew zu verstecken – oder muss das Team sichtbar sein, um die Drehbedingungen transparent zu machen? Auch Sarah Jones, die an der Coventry University in Großbritannien Journalismus lehrt, hat sich intensiv mit VR beschäftigt: Für sie stört es die immersive Erfahrung und lenkt ab, wenn ein Reporter im Bild dessen Inhalt erklärt – ein Reporter im Bild beraubt das 360-Grad-Videos sozusagen seines Kerns – der immersiven Erfahrung, allein in einer ungewohnten Umgebung zu sein. Ohne Reporter im Bild wird es jedoch schwer, den Zuschauer zu leiten: Wohin soll er schauen? Lässt sich ein Inhalt vermitteln, wenn jeder Zuschauer sich frei umschaut – und vielleicht entscheidende Entwicklungen im Bild verpasst, weil er gerade in die „falsche“ Richtung blickt? Oben geschildert habe ich den Ansatz von Ryot News, Protagonisten aus dem Off per O-Ton berichten zu lassen, was bei in ruhigen, dokumentarischen Passagen funktionieren kann. Ansonsten scheidet Audio aus technischen Gründen (zumindest bei Produktionen mit „kleinen“ Kameras), wie oben geschildert, als leitendes Element aus, weil sich sphärischer Ton bisher in der Regel weder zufriedenstellend aufnehmen noch wiedergeben lässt.

Der Standpunkt der Kamera spielt eine wichtige Rolle: Denn zu allen Seiten muss etwas „zu sehen“ sein, im Idealfall enthalten die kompletten 360 Grad um die Kamera herum Informationen, die zum Inhalt des Films beitragen. Meist wird die Kamera sich daher in der Mitte des Geschehens wiederfinden, und nicht mit dem Rücken zur Wand oder am Rand der Handlung. Zudem wird die Kamera dort für längere Zeit aufgebaut bleiben. Eher selten wird ein Reporter sie dagegen in der Hand halten und mir ihr herumlaufen, denn bei dieser Reporter-Bewegung bleibt zu wenig Zeit für die Bewegung der Zuschauer im Bild. Die Gehbewegung macht das Bild außerdem extrem unruhig und für den Betrachter schwer erträglich, der dieses „Gewackel“ nicht am Fernseher aus sicherer Entfernung sieht, sondern abgetaucht ist und quasi mit der Kamera durch das Geschehen wackelt.
Abbildung 09-06 Kleine Kamera mit Rundumblick: Die Ricoh Theta S wirkt kaum wie eine Kamera, sieht aber alles.

Die Privatsphäre der Menschen im Bild muss beim 360-Grad-Dreh besonders beachtet werden: Denn hier filmt kein Team mit klassischer Fernseh-Ausrüstung in nur eine Richtung, was bedeuten würde, dass Menschen die Filmarbeiten wahrnehmen und sich gegebenenfalls dagegen aussprechen oder den Schauplatz verlassen könnten. Der 360-Grad-Film entsteht mit einer Kamera, die viele Menschen nicht als solche erkennen, die sie aber in jedem Winkel eines Raumes oder Platzes abbildet. Insofern sollten Journalisten sorgfältig abwägen, wie dicht sich beispielsweise Unbeteiligten kommen, und, ob sie diese über ihre Arbeit informieren. Auch die Dauer einer Einstellung unterscheidet sich vom „herkömmlichen“ nicht-immersiven Film: Damit ein Zuschauer sich im Bild umschauen und alle Details in 360 Grad wahrnehmen kann, muss eine Szene lange gezeigt werden, meist mindestens 30 Sekunden lang. Ein 360-Grad-Video hat daher eine sehr ruhige Schnittfolge – in einem 3-Minuten-Clip finden sich vielleicht gerade fünf bis acht verschiedene Einstellungen. Zudem wird ein 360-Grad-Film in der Regel kein Archivmaterial nutzen, weil der Wechsel den immersiven Eindruck zerstören kann.

9.4 360 Grad veröffentlichen

Die Bearbeitung von 360-Grad-Videos geschieht in der Regel zunächst mit den mit der Kamera gelieferten Apps. Die Theta S (Abb. 09-07) bietet beispielsweise die Möglichkeit, Material direkt aus der App auf der Theta-Plattform zu veröffentlichen oder von dort auf Facebook oder Twitter zu teilen. Die „Samsung 360 Gear“ bietet Ähnliches an. Oft wird man gedrehtes Material jedoch auf eigenen Plattformen oder -Kanälen, beispielsweise auch bei Youtube oder Facebook, direkt veröffentlichen wollen. Dafür muss das Material zunächst von der Kamera heruntergeladen und oft bearbeitet werden.

Beim Download von der Kamera wird das Material oft gewandelt, um es meist im Format „MP4“ auszuspielen, das viele Schnittprogramme und Player verstehen. Die Weiterverarbeitung kann mit vielen Programmen erfolgen, beispielsweise bietet Premiere Pro gute Funktionalität für 360-Grad-Videos an. Auch der Windows MovieMaker kann sphärisches MP-4-Material schneiden, wenn es auch beim Schnitt verzerrt dargestellt wird. Um eine Tonspur unter das Video zu legen, reicht der MovieMaker jedoch allemal. Nach der Bearbeitung erfolgt der Upload auf ein Videoportal – aber nicht jedes ist geeignet. Denn 360-Grad-Videos brauchen einen Player, der den sphärischen Eindruck vermitteln kann, der also das 360-Grad-Bild „versteht“. Youtube und Facebook haben solche Player implementiert. Andere Videoportale (wie vimeo) bieten diese Funktionalität (noch) nicht an. Entscheidend beim Upload ist es, die 360-GradVideos mit den entsprechenden Metadaten zu versehen, einer Art Türschlüssel: Wenn ein MP4-File diesen Türschlüssel mitbringt, wissen Youtube oder Facebook, dass ihr Player das Video in 360-Grad darstellen soll. Nach Abschluss der Bearbeitung muss das MP4-File also einmal mit Metadaten versehen werden. Auf dem Desktop-Computer besorgt dies die kostenlose App „360 Video Metadata“. Die Bearbeitung auf dem Smartphone steckt dagegen noch in den Kinderschuhen . Es ist aber möglich ein Video komplett über das Smartphone zu bearbeiten: Nachdem es mit der 360-Grad-Kamera gedreht wurde, wird es zum
Smartphone übertragen. Per App wird es dann konvertiert und in der Bildergalerie abgelegt. Dort kann es bearbeitet werden – beispielsweise mit PowerDirector (siehe Kapitel 6.3.). Der fertige Film wird wiederum ausgespielt und muss mit Metadaten versehen werden. Im Google Play Store gibt es die App „Vrfix“, die die Arbeit schon auf dem Telefon erledigt. Paul Gailey hat sie programmiert – ein engagierter „Mobile Journalist“. Allerdings ist das Programm noch ziemlich sperrig und erfordert einige Entwicklungsarbeit. Aus meiner Sicht ist es vor allem schwierig, fertige Videos auf dem Telefon zu finden, weil das Dateimenü der App sehr langsam reagiert und keine Vorschaubilder anzeigt. Auf dem iPhone und Windows-Telefon ist die Bearbeitung von 360-Grad-Filmen noch nicht möglich: Hier würden Schnittprogramme zwar die Bearbeitung ermöglichen. Ich kenne jedoch bislang keine Apps für iOs oder Windows, mit denen sich auf dem Smartphone Metadaten einfügen ließen.

Weiterführende Links

Vice. „Marsch den Millionen“, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2016: https://news.vice.com/article/chris-milk-spike-jonze-and-vice-news-bring-the-first-evervirtual-reality-newscast-to-sundance BILD. 360-Grad-Video von einem Flüchtlingsboot im Mittelmeer, zuletzt abgerufen a 10. Juni 2016: http://www.bild.de/politik/ausland/fluechtlingskrise/das-dramatische-360grad-video-von-der-fluechtlingsrettung-44571444.bild.html Ryot News. „Welcome to Aleppo“, zuletzt abgerufen a 10. Juni 2016: https://www.youtube. com/watch?v=Nxxb_7wzvJI Immersiv.ly. „Hongkong Unrest“, zuletzt abgerufen am 10 Juni 2016: www.hongkongunrest.com Wall Street Journal. „Is the Nasdaq in another Bubble?“, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2016: http://graphics.wsj.com/3d-nasdaq/ New York Times Mag. „Walking News York“, zuletzt abgerufen am 10. Juni: http://vrse. com/watch/nyt-mag-vr-walking-new-york/ Des Moines Register „Harvest of change“, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2016: http://www. desmoinesregister.com/pages/interactives/harvest-of-change/ The Guardian. „6 x 9: A Virtual Experience of Solitary Confinement“, zuletzt abgerufen am 10. Juni 2016: http://www.theguardian.com/world/ng-interactive/2016/apr/27/6×9-avirtual-experience-of-solitary-confinement Migielicz, Geri & Zacharia, Janine. Stanford Journalism Program’s guide to using virtual reality for storytelling — dos & don’ts. Zuletzt abgerufen am 4. September. https://medium.com/@StanfordJournalism/stanford-journalism-programs-guide-to-using-virtualreality-for-storytelling-dos-don-ts-f6ca15c7ef3c#.1hzen8v6p
Madary, Michael & Metziger, Thomas K. „Real Virtuality: A Code of Ethical Conduct. Recommendations for Good Scientific Practice and the Consumers of VR-Technology“. In: Frontiers in Robotics and AI. Zuletzt abgerufen am 26. Oktober 2016: http://journal. frontiersin.org/article/10.3389/frobt.2016.00003/full#

Interview mit Martin Heller

Martin Heller arbeitet als Journalist und Reporter in Berlin. Er hat die Firma „IntoVR“ gegründet, die 360-Grad- und VR-Formate entwickelt. Zudem leitet er die Videoinnovation für die Mediengruppe WeltN24 im Axel-Springer-Verlag. Er hat das VJ-Team der Welt aufgebaut und neue Formen für „mobile journalism“ mitentwickelt.
Warum sind 360-Grad-Videos und VR im Journalismus überhaupt interessant? VR wird immer wichtiger in den kommenden Jahren, und Journalismus ist dann besser „drin“ als „draußen“. Immer mehr Menschen werden VR-Brillen zu Hause haben – ob das in einem, in drei oder in fünf Jahren ist, kann ich schwer sagen. Sie werden immer mehr Inhalte auf diesen Brillen konsumieren: Games, Unterhaltung, Kommunikation. Da dürfen journalistische Inhalte nicht fehlen: Journalismus sollte auf allen Verbreitungsplattformen präsent sein. Zudem hat VR einen besonderen Effekt, eine besondere emotionale Tiefe. Das viel zu viel zitierte Wort der „Empathiemaschine“ stimmt wirklich: Menschen sind näher an Geschichten dran, weil sie ja praktisch in Geschichten drin sind. Wir können Menschen an Orte bringen, wo sie sonst vielleicht nicht sein könnten. Darum geht’s aus meiner Sicht. Es geht auch darum, Geschichten von Menschen zu erzählen, aber der Ort ist immer ganz entscheidend. 360-Grad-Inhalte mit Handy oder am Desktop-Computer anzuschauen, halte ich für eine nette Spielerei, für einen guten Einstieg in die Form. Viele finden selbst das beeindruckend, aber die volle Kraft entwickelt das Medium erst auf der VR-Brille.

Kann 360 Grad den Medien auch in Debatten um Glaubwürdigkeit und Authentizität helfen, Stichwort: „Lügenpresse“? Auf jeden Fall. Ich glaube, ich bin mir sicher, das VR die Glaubwürdigkeit im Journalismus erhöhen kann und es auch tatsächlich tut. Wir bekommen immer wieder Reaktionen von Zuschauern, die schreiben: „Das ist gut, auch auf die andere Seite gucken zu können.“ Es ist ähnlich wie beim Livestreaming: Auch 360 Grad ist ein besonders ehrliches Medium, weil wir das ganze Bild, rundherum, zeigen. Wir ziehen uns als Journalist zurück: Wir entscheiden zwar, wo der Zuschauer steht und von wo er etwas anschaut, aber was er da dann genau anschaut, wie lange er was betrachtet, ist dem Zuschauer überlassen. Damit führen wir ihn deutlich weniger als in herkömmlichen Geschichten. Der Zuschauer bekommt mehr Eigenverantwortung.
Was bedeutet es für das Storytelling, wenn wir den Zuschauer weniger führen: Wie lassen sich Geschichten strukturieren und erzählen, wenn unsere Zuschauer quasi überall hingucken können? Zum einen muss ich den Zuschauern wesentlich mehr Zeit geben. Ein Schnitt ist nicht drei oder fünf Sekunden, sondern 12 bis 30 Sekunden lang. Das heißt auch: Wir müssen sorgfältiger nachdenken, wo dieses Bild stattfindet, wir müssen sehr viel genauer planen. Eine 360-Grad-Aufnahme entspricht also ein wenig dem Theater zum Beispiel, wo man eben ein Bühnenbild plant, einen Vorhang öffnet und wieder schließt, und danach ein anderes Bühnenbild hat. Ich kann die Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht durch Kameraarbeit oder Schnitte leiten, sondern nur, indem ich zum einen Orte auswähle und dann innerhalb dieser Orte etwas veranstalte oder veranstalten lasse. Es gibt Tricks wie man die Aufmerksamkeit der Zuschauer etwas leiten kann, zum Beispiel durch Bewegung im Bild: Wenn ein Mensch sich im Bild bewegt, der sehr präsent ist, schaut ein großer Teil der Zuschauer dieser Person hinterher. In dem Moment, in dem eine Szene zu Ende ist und der nächste Aufzug beginnt, kann ich also ahnen, wo ein Großteil der Zuschauer gerade hinschaut. Zudem kann ich mit Ton sehr viel gestalten, in dem Moment ich in einer Gefängniszelle stehe und eine Tür laut zufällt, kann ich davon ausgehen, dass der Zuschauer in Richtung dieser Tür schaut. Für sphärischen Ton brauche ich aber Geräte, die diesen aufnehmen können, und die Zuschauer müssen den auch abspielen können. Zudem kann ich als Redakteur mit einem Sprechertext arbeiten– auch damit kann ich Aufmerksamkeit steuern. Aber am Ende hat der Zuschauer totale Freiheit, dort hinzuschauen, wo er möchte. Deswegen sagen viele, nachdem sie einen 360-Grad-Film geschaut haben, auch: Den könnten sie gleich noch einmal schauen, weil sie eben vieles noch gar nicht gesehen haben.
Wo bleibt der Reporter bei 360-Grad-Aufnahmen? Im Bild, oder muss er sich verstecken? Ich hab schon mal versucht, als Reporter im Bild zu stehen und zu berichten, in dem ich direkt in die Kamera spreche. Ich halte das aber nicht für die reinste Form des VR-Journalismus. Warum? Im klassischen Bericht ist der Reporter als Stellvertreter des Zuschauers vor Ort und sammelt Eindrücke, die er weitergibt. Bei VR bringen wir aber den Zuschauer vor Ort. D.h. der Reporter muss da nicht auch noch eine Rolle spielen. Meine klare Empfehlung in fast allen Situationen: Der Reporter sollte sich zurückziehen und quasi „verstecken“. Es gibt allerdings Situationen, in denen man die Kamera nicht alleine lassen kann.
Sphärisches Audio ist sowohl in der Aufnahme als auch der Wiedergabe noch eine ziemliche Herausforderung . Welchen Rat würdest du also mit Blick auf die Tonaufnahme geben? Ich verstecke in der Regel ein kleines Tonaufnahmegerät im Raum oder in der Szenerie. Warum? Weil der Ton der Kameras selbst oft nicht gut genug ist. Bleiben wir beim Beispiel Gefängniszelle: Da könnte man das Aufnahmegerät unter das Bett oder hinter das Klo legen. Der Ton muss stimmen, damit die Immersion nicht zerstört wird. Er muss aber nicht unbedingt räumlich funktionieren, obwohl das perfekt wäre. Ton ist nicht einfach, eine Herausforderung, aber ich glaube, dass wir mit kleinen Tonaufnahmegeräten arbeiten müssen derzeit, die man möglichst versteckt.
Dieses Buch kümmert sich vor allem um „mobilen Journalismus“, also um den unaufwändigen Dreh, um Material, das sich mit dem Handy schnell hochladen lässt . Der Fokus liegt also auf kleineren Kameras wie der Theta S oder der Samsung 360 . Sind diese kleinen Kameras aus deiner Sicht überhaupt sinnvoll? Die Ricoh Theta S würde ich nicht empfehlen, solange sie als Auflösung nur „Full HD“ liefert. Mit anderen dieser einfachen Kameras, die 4K oder nahezu 4K ausgeben, kann man Inhalte erstellen, die auf einer Website oder im sozialen Medium durchaus funktionieren, mit denen man aber keinen Preis im Bereich 360 Grad Video gewinnt. Grundsätzlich glaube ich schon, dass man nebenbei 360-Grad-Videos produzieren kann, wenn man weiß, wie, wenn man Routine hat. Ich habe eine Reporterin zu den Zeiten der Flüchtlingskrise auf den Balkan geschickt. Sie hat vor allem 360 Grad Videos hergestellt und mit dem Smartphone Livestreams und kleine mobile Videos. Sie hat in allen Disziplinen hohe Qualität abgeliefert – aber nur, weil sie das nicht zum ersten Mal gemacht hat. Also: Alle halbe Jahr mal ein 360 Grad Video nebenbei drehen, das ergibt in der Regel nicht die Qualität, die ich mir vorstelle.