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Mobile Reporting

Ein Überblick

Zusammenfassung Einleitende Bestandsaufnahme – wer setzt „mobile journalism“ wie ein? Mit welchen Erfahrungen, Erfolgen und Misserfolgen? Hilft #Mojo, wenn es darum geht, Inhalte für die mobile Nutzung auf Smartphones zu produzieren? Taugt #Mojo vor allem dazu, Geld zu sparen? Wie verändert sich das Berufsbild des Journalisten? Es war eine radikale Entscheidung: Der Schweizer Regionalsender „Léman Bleu“ aus Genf stellte seine Produktion im Sommer 2015 komplett auf Smartphones um. Alle Reporter wurden mit iPhones und Reporter-Kits ausgestattet. Chefredakteur Laurent Keller erklärte den Schritt in einem Zeitungsinterview mit „Le Temps“ so: „Wir haben uns auf die Suche nach mehr Leichtigkeit und schnellerer Reaktionsfähigkeit begeben. Aber natürlich geht es auch darum, die Kosten von Nachrichtenprogrammen zu reduzieren.“ „Live in 90 seconds“ – fast ebenso radikal ist die Nachrichtenphilosophie des britischen Fernsehsenders „SkyNews“: 90 Sekunden, nachdem ein Reporter den Ort eines Ereignisses erreicht, soll er bereits live auf Sendung sein. Neben der Frage, wie er sich in so kurzer Zeit die nötigen Informationen für seine Liveschalte verschaffen kann, ist dies vor allem eine technische Herausforderung. SkyNews (wie auch einige andere Sender) löst sie seit einigen Jahren per iPhone: Die Reporter benutzen eine besondere App, die für Liveschalten mehrere Übertragungswege.
Mehr Leichtigkeit, eine schnellere Reaktionsfähigkeit und die Hoffnung, Kosten zu reduzieren – sind dies die Hauptargumente für „Mobilen Journalismus“? Ein Wesensmerkmal von Bewegtbildjournalismus war in den vergangenen Jahrzehnten, dass er extrem aufwändig zu produzieren war. Video und Fernsehen waren in der Regel (zumindest, bis die ersten VJs eingesetzt wurden), kein Ein-Mann- oder Ein-Frau-Geschäft. Zudem war – selbst für VJs – die Technik teuer, eine echte Investition. Nur wenige freie Journalisten leisteten sich eine eigene Ausrüstung. Videoproduktion war (fast) immer arbeitsteilig organisiert. Doch mit immer leistungsfähigeren Smartphones und immer besseren TelefonKameras hat ein Paradigmenwechsel eingesetzt: Manches Telefon dreht schon 4K Auflösung, während die meisten Fernsehsender noch in einer Auflösung von 1920 x 1080 Pixeln (wenn überhaupt!) produzieren. Fernsehtechnik wird erschwinglich und beherrschbar. Das Heer von Fachleuten in Arbeitsteilung (Kamera, Ton, Schnitt, Reporter) wird – zumindest im Nachrichtenjournalismus – zunehmend abgelöst von kleineren Teams, die mobil, vor Ort arbeiten und jeden Teil des Produktionsprozesses beherrschen. Nicht bei jedem Thema, nicht in jedem Umfeld – aber zunehmend.

1.1 Was ist „Mobiler Journalismus“?

Geprägt haben den Begriff „Mobiler Journalismus“ #Mojo-Urväter wie der australische Journalist Ivo Burum (siehe 1.6.), Autor des Buches „The Mobile Journalism Handbook“, oder Glen B. Mulcahy, der beim irischen öffentlich-rechtlichen Sender RTÉ als Technik-Innovator arbeitet und 2015 die „Mobile Journalism Conference“ in Dublin ins Leben gerufen hat. Mulcahy schult seit Jahren im Rahmen des europäischen Rundfunkanbieter-Zusammenschlusses „Circom“ Journalisten und hat auf diesem Feld Pionierarbeit geleistet. Der Ausdruck „Mobile journalism“ führt jedoch ein wenig in die Irre: Selbstverständlich ist jeder Journalist mobil, „mobile“ war guter, engagiert „journalism“ entsprechend dem international gebräuchlichem Branchenbegriff schon immer. Es gehört zur journalistischen Arbeit, ein Ereignis nach guter Recherche vor Ort direkt zu begleiten, sich mit dem Ereignis zu bewegen und „mobil“ zu bleiben. Vor allem Video- und Fernsehjournalisten stoßen dabei jedoch in herkömmlichen Produktionsprozessen häufig an ihre Grenzen. Wer einen langen Demonstrationszug begleiten und gleichzeitig berichten will – sei es live, sei es in geschnittenen Fernsehbeiträgen –, der kämpft mit großen logistischen Problemen: Wo kann der Übertragungswagen für die Liveschalte positioniert werden, wenn sich ein Demonstrationszug bewegt? Denn ein Übertragungswagen kann in der Regel nicht senden, während er fährt, weil er seine Satellitenschüssel genau ausrichten muss und Arbeitsschutz und Verkehrsordnung dem entgegenstehen. Noch komplizierter: Wo und vor allem wann kann ein Reporter seinen Beitrag für die stündliche Nachrichtensendung schneiden, wenn ein Demonstrationszug sich weiterbewegt? Eine aufwändige, teure Logistik aus Producern, Kurieren, Kamera- und Schnittmobil-Positionen ist oft die Antwort. Und weil sich aktuelle Ereignisse eben nicht an Drehbücher halten, ist das Ergebnis zudem noch häufig unbefriedigend, weil ein Reporter eben doch zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Vor allem geht es bei „mobile journalism“ um „mobile reporting“ – also den gesamten Produktionsprozess. Journalisten mussten bisher in der Regel „back to base“, zurück zu Redaktion oder Ü-Wagen, um zu produzieren. Beim „mobile reporting“ nehmen sie alle Produktionsmittel mit und arbeiten unterwegs. Das erlaubt neue Beweglichkeit, neue Formen. Der NDR hat – anders Léman Bleu in der Schweiz – seinen Produktionsprozess für das lineare Fernsehen noch nicht (Stand Herbst 2016) umgestellt. Wir haben jedoch gute Erfahrungen mit Multimedia-Projekten gemacht, für die für „mobile reporting“ eingesetzt haben.

Ein Beispiel ist das Projekt „#politag“ : Sechs Reporterteams, in der Regel aus zwei Kolleginnen und Kollegen, haben sechs Politiker einen Tag lang begleitet und über ihre Alltagsarbeit vor einer Bürgerschaftssitzung berichtet, die in Hamburg in der Regel am späten Nachmittag und Abend stattfindet – ein „Feierabendparlament“. Die Aufgabe der Reporter war, von unterwegs mehrere Fernsehberichte zu liefern und zudem soziale Medien, vorrangig Twitter, Periscope und Snapchat, zu bedienen. Es war eine Aufgabe, die mit herkömmlichen Produktionsmitteln nicht zu bewältigen gewesen wäre: Zum einen wäre die Umsetzung schlichtweg astronomisch teuer geworden. Zum anderen wäre sie logistisch kaum zu lösen gewesen: Sechs Reporterteams, die irgendwo in der Stadt unterwegs sind und Beiträge schneiden, vertonen und zudem live berichten wollen, während die Protagonisten, die sie begleiten, schon auf dem Weg zum nächsten Termin sind. Wo hätten Ü-Wagen, Schnittmobile etc. platziert werden sollen? Die Entscheidung, nur per Smartphone zu produzieren, war insofern die einzig denkbare. Oder andersherum: Dieses Projekt wäre nicht realisierbar gewesen, hätten wir nicht per Smartphone produzieren können. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Wir haben mehr als 20 Videoberichte von ein bis zwei Minuten Länge produziert, deren Qualität größtenteils so hoch war, dass wir sie auch im linearen Fernsehen hätten senden können. Wir haben zudem viele Livestreams auf Periscope produziert und waren den Tag über „Trending Topic“ in Twitter-Deutschland – auch wenn das möglicherweise vor allem zeigt, wie klein die Twitter-Welt doch ist. Wichtig sind auch die Erkenntnisse „hinter den Kulissen“: Wir haben zwölf fernseherfahrenen Kolleginnen und Kollegen aus Redaktion und Technik an einem halben Tag die Grundzüge des „mobile reportings“ per iPhone beigebracht. Die Technik ist also nach kurzer Einführung zumindest in Grundzügen beherrschbar. Dies legt es nahe, darüber nachzudenken, ob nicht die „Mobile Reporting“-Ausbildung am Smartphone aufgrund niedriger technischer Hürden der erste Schritt sein sollte auf dem Weg, Videojournalisten an Kameras auszubilden – denn selbst an kleineren VJ-Kameras sind die Hürden ungleich höher. Eine weitere Erkenntnis: Wir haben an diesem Projekt nicht nur Kollegen aus dem aktuellen Fernseh-Newsroom beteiligt, sondern auch Kameraleute, Mitarbeiter der technischen Abteilung Außenübertragung, Redakteure aus der Unterhaltungsredaktion und eine Hörfunkkollegin. Weil Berufsbilder sich verändern, und „mobile reporting“ ein Puzzlestein des Medienumbruchs ist, ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, anstehende Veränderungen, Chancen und Risiken, gemeinsam zu erproben und zu erfahren. Es mag auch darum gehen, günstiger zu produzieren – dies bezieht sich aber vor allem auf niedrigere Ausgaben für die Hardware. Ich glaube nicht daran, dass wir denselben Nachrichteninhalt künftig statt von Drei-Mann-Teams nur noch von Smartphone-Reportern erwarten dürfen, die als Einzelkämpfer allein unterwegs sind. Beim „#politag“ haben wir auch deswegen Zweierteams eingesetzt, die sich in ihren Tätigkeiten häufig abgewechselt haben: Während der eine für den kommenden Film gedreht hat, hat der andere aus dem vorhergehenden Ereignis einen Bericht geschnitten. Es geht auch darum, die Chancen des „mobile reportings“ zu begreifen und zu nutzen, um andere, neue Inhalte zu produzieren. Denn „mobile Reporting“ ist eine Erweiterung journalistischer Möglichkeiten: Das ist für mich der Kern der Entwicklung, und das treibt mein Interesse. Ich will nicht verleugnen, dass mich auch die technischen Details interessieren, der wirkliche Vorteil aber sind die inhaltlichen Chancen im Nachrichtenjournalismus. Ich habe selbst einige Jahre als Hörfunkreporter gearbeitet. Seit meinem Wechsel zum Fernsehen habe ich die Radiokollegen darum beneidet, wie flexibel sie von vor Ort berichten können, wie klein der technische Aufwand geworden
ist. Notfalls reichte ein Griff zum Telefon, um „Live On Air“ zu gehen. „Mobile Reporting“ per Smartphone versetzt Fernsehreporter nun fast in dieselbe Lage. Es braucht nicht viel mehr als ein Smartphone und ein wenig Zubehör (siehe Kapitel 3), um dicht am Ereignis zu berichten. Und ein Reporter kann viel länger vor Ort bleiben, wenn er per Smartphone unterwegs produziert. Es geht nicht um „Entweder – Oder“: Wir werden nicht alle Kameras verkaufen und von heute auf morgen nur noch per Smartphone drehen. Es geht darum, dieses neue Produktionsmittel in unsere Produktionsprozesse einzugliedern und herauszufinden, an welchen Stellen sie uns nutzen, und an welchen nicht. Es lohnt, das Smartphone beispielsweise auch beim klassischen Dreh als „zweite Kamera“ für die Totale aus der Vogelperspektive oder eine Zeitrafferaufnahme einzusetzen. Und wenn ein Reporter mit Team einen Bericht für die 20-Uhr-Tagesschau produziert, kann er nun zuvor per Smartphone schon die ersten Bilder für die OnlineSeite oder Facebook liefern. Bisher haben sich die Online-Kollegen oft hinten anstellen müssen und die Berichte aus dem linearen Fernsehen nach deren Ausstrahlung online gestellt. So bitter es ist: Auch, wenn viele Redaktionen „online first“ zur Strategie erklärt haben, sind unsere Produktionsprozesse oft noch darauf ausgerichtet, zum Sendetermin im linearen Fernsehen fertig zu sein. Das Smartphone kann also auch helfen, in einem zweiten, parallelen Produktionsprozess – neben dem herkömmlichen – schnell erste Bilder von vor Ort online zu stellen: einen O-Ton, der nach dem Fernsehinterview zusätzlich aufgenommen wird, einen kurzer Aufsager des Reporters, der die Situation vor Ort erklärt, oder ein kurzes zusätzliches Interview mit dem Protagonisten im Livestream.

1.2 Die Vor- und Nachteile von „Smartphone-Reporting“

Manchmal belächeln mich Kolleginnen und Kollegen, wenn ich über „mobile reporting“ spreche. Für sie bin ich ein Kollege, die viele Worte macht über zukünftige Produktionsprozesse, an deren Umsetzung sie aber nicht wirklich glauben. Ich bin dazu übergegangen, erst nach der Ausstrahlung eines Berichtes darüber zu sprechen, wie ich ihn produziert habe. Das führt dann zu Überraschung oder Staunen – denn Bildqualität und Schnitt unterscheiden sich zwar vom herkömmlichen Produktionsprozess, und ein Kameramann oder Cutter sieht Unterschiede. Er sieht aber oftmals keine Unterschiede, die aus seiner Sicht dazu führen sollten, den Beitrag nicht zu senden.
Was wäre gewesen, hätte Steve Jobs sein iPhone auf den Markt gebracht und es nicht als Massenprodukt definiert, sondern als hochspezialisiertes Hybrid-Produkt für Bild, Ton und Übertragung, das nur Kameraleute benutzen dürfen? Eine hypothetische Frage, die aber zugespitzt ein wenig zur Erklärung beiträgt: Viele Smartphones können viel mehr, als man ihnen zutraut. Denn selbstverständliche Dinge werden leicht übersehen: Eine TV-Kamera kann Bilder aufnehmen. Aktuelle Modelle können sie per WiFi oder mit Zusatzgeräten per LTE übertragen – aber selbst das ist nicht die Regel. Ein Smartphone kann dagegen Bilder aufnehmen, es ist aber auch ein Computer, mit dem ich sie schneiden kann, und ein Sendemast, mit dem ich sie übertragen kann. Das Smartphone ist eine Art Schweizer Messer: Diese Metapher hat Mark Egan, britischer #Mojo-Trainer und -Reporter, einmal bemüht, und sie trifft aus meiner Sicht ins Schwarze: Es ist zwar nicht das beste Messer für jede Anwendung, es ist aber die beste Kombination von Werkzeugen für aktuelle journalistische Arbeit. Smartphone-Bilder sind weitwinklig aufgrund der Kamera-Spezifikation. Sie sind weitwinkliger als die Bilder vieler VJ- oder Fotokameras, was im Umkehrschluss zweierlei bedeutet: Zum einen ist es schwer, Pressekonferenzen, Politikerstatements mit großem Andrang oder Fußballspiele zu drehen, weil das Smartphone verhältnismäßig dicht am Protagonisten platziert sein muss. Das ist vielfach nicht möglich, wenn den Kamerateams beispielsweise eine Tribüne am Ende eine Raumes zugewiesen wird. Smartphones haben zudem größere Probleme, mit anspruchsvollen Lichtsituationen umzugehen – sei es Dunkelheit, seien es große Unterschiede zwischen grellem Licht und Schatten. Das gilt übrigens sowohl für die Smartphone-Kamera als auch das Display: In extremen Lichtsituationen ist es schwer, auf dem Display Bildkomposition und -einstellung vorzunehmen.

Auf der anderen Seite haben Smartphones einen großen Vorteil: Sie gehören zum Alltag. Viele Menschen sprechen in ihre Telefone, machen Selfies, nehmen sich und Freunde oder Familienmitglieder auf Video auf. Für uns Journalisten müssen sie nichts anderes tun: Sie werden von einem Telefon beobachtet – und sprechen in ein Telefon. Das baut nach den Erfahrungen vieler #Mojos Hürden ab. Insbesondere medienunerfahrenen, „normalen“ Menschen kommt der Smartphone-Reporter näher, weil er sein Gegenüber sehr viel weniger einschüchtert als ein großes Kamerateam. Auch in schwierigen Drehsituationen können sich Reporter die Vorteile des Smartphones zunutze machen: Als die Hamburger Innenbehörde beispielsweise im Sommer 2015 dauerhaft den Dreh in Erstaufnahmelagern für Flüchtlinge untersagte, überwog aus unserer Sicht das öffentliche Interesse an Berichterstattung, zumal in einigen Lagern die Krätze ausgebrochen war. Wir haben daher – nach Abstimmung mit dem Justitiariat im NDR – vor Ort Flüchtlinge besucht und per iPhone gedreht (Abb. 01-03). Ein Smartphone-Reporter fällt weniger auf: Er liefert Bilder in bester Fernsehqualität, wirkt aber bisweilen wie ein Tourist, Schaulustiger oder Besucher. Als der BBC-Reporter Nick Garnett (siehe Interview nach Kapitel 4) während der Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich über die Fan-Krawalle in Lille berichtete, half ihm seine mobile, wenig sichtbare Ausrüstung. Er schrieb danach auf Facebook:
Sums up mojo for me – I was able to get really close to what was happening (so close we got hit by the shockwaves of some of the CS canisters exploding) and yet – to all intents and purposes – I looked like everyone else with a mobile phone. Camera crews were set upon and attacked, reporters punched, equipment wrecked. (Übersetzt: Dieser Einsatz fasst für mich die wesentlichen Vorteile von #Mojo zusammen: Ich konnte sehr dicht an das Geschehen herankommen, so dicht, dass wir die Schockwellen der explodierenden Tränengas-Patronen spürten, und trotzdem sah ich aus wieder jeder andere, der mit einem Smartphone filmte. Kameracrews wurden gejagt und angegriffen, Reporter geschlagen, Ausrüstung zerstört.) (Abb. 01-04) Ein Smartphone-Reporter wird nicht ohne Weiteres erkannt . Das hat auch andere Folgen, beispielsweise für seinen Schutz bei Demonstrationen, wenn Polizisten zwischen Demonstranten und Journalisten unterscheiden müssen. Hier kann der Vorteil schnell zum Nachteil werden. Ein Smartphone-Reporter muss über den Umgang mit Privatsphäre und Rechten am eigenen Bild der aufgenommenen Personen nachdenken, weil er beim Dreh – anders als ein großes Kamerateam – möglicherweise nicht erkannt wird und er so nicht von einer „stillschweigenden Zustimmung“ der Gefilmten zu seinen Dreharbeiten ausgehen kann (siehe auch Kapitel 7.1.). Das Smartphone ist klein und handlich: Es taugt dazu, aus ganz anderen Perspektiven zu filmen als eine große Kamera. Man kann es in Behälter legen, die gefüllt werden, man kann Smartphones auf Regale stellen, per Magnetstativ aus ungewohnter Perspektive aufnehmen lassen – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Das Smartphone ist aber auch eben „nur“ ein Massenprodukt: Akkulaufzeit und Speicherplatz sind begrenzt, begrenzter als beim Dreh mit einem Kamerateam, das im VW-Bus noch massenhaft Akkus und leere Speichermedien bereithält. Auch das will bedacht sein.

1.3 Mobile Reporting und Nachrichtennutzung

„Mobile Reporting“ geschieht nicht im luftleeren Raum: #Mojo tritt nicht als zusätzlicher Produktionsweg auf einen Markt, der ansonsten unverändert bliebe. Im Gegenteil: Der Medienmarkt durchläuft einen tiefgreifenden Veränderungsprozess – vielleicht so folgenreich wie die Erfindung der Druckerpresse. Mit Leichtigkeit ließe sich damit ein eigenes Buch füllen: Nachrichten werden nicht mehr vor allem über klassische Infrastruktur (Sendemast, Kabel, Satellit) verbreitet, sondern über Internetprotokolle („IP News“). Die Netze gehören kommerziellen Konzernen, und die größten Plattformen für die Verbreitung (wie Twitter, Instagram, Google oder Facebook) sind ebenso (US-)Konzerne. Sie folgen (fast) ausschließlich ökonomischen Gesetzen und entziehen sich weitgehend der über Jahre gewachsenen traditionellen Medienaufsicht, beispielsweise durch Rundfunkräte oder Landesmedienanstalten. Werden diese Konzerne allen Anbietern immer offenen Zugang zu ihren Plattformen gewähren, und Inhalte nicht diskriminieren? Zweifel sind zumindest angebracht. IP-News bedeutet auch: Binnen Stunden lassen sich aus einem Pop-Up-Büro Nachrichten produzieren. Das hat auch Folgen für die Inhalte. Manchmal erreichen die Bilder die Redaktion, aber auch die Zuschauer vor den Fakten. Das stellt alte Regeln und die Organisation redaktioneller Verantwortung sowie allgemein Arbeitsprozesse in Frage. Neue Nachrichtenanbieter erscheinen auf dem Markt:
Das US-Portal „Vice News“ beispielsweise sammelte gerade erst 500 Millionen Euro Investitionen ein, um sein Angebot weltweit auszubauen, und bietet auch auf dem deutschen Markt ungewohnte Inhalte an. Interessant für dieses Buch ist jedoch vor allem die Rolle, die das Smartphone auch auf der anderen Seite, beim Konsumenten unserer Inhalte, spielt. Nachrichtennutzung wird mobil . Das belegen alle aktuellen Studien, wenn sich die Zahlen auch leicht unterscheiden. In einer Untersuchung des Reuters-Instituts, für die mehr als 50.000 Menschen aus 26 Ländern befragt wurden, die Onlinenachrichten nutzen, sagt mittlerweile mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Befragten, dass sie Nachrichtenangebote vor allem per Smartphone konsumieren. Deutschland hinkt der Entwicklung mit 40 Prozent etwas hinterher, auch hier ist der Trend aber deutlich: Seit 2013 hat sich die Nachrichtennutzung vom Mobiltelefon von damals 22 Prozent auf heute 40 Prozent fast verdoppelt. Das Publikum wartet nicht mehr auf die Abendnachrichten, sondern bezieht Nachrichten unterwegs, in der U-Bahn, im Meeting zwischendurch. Nachrichten werden allgegenwärtig, und der Bedarf, sie ständig zu aktualisieren, auch im Bewegtbild, wächst weiter. Schon ein Viertel der Nutzer schaut dabei regelmäßig auch Videos. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg beschreibt Video als „the new text“ – Videos werden aus seiner Sicht zur treibenden Kraft der sozialen Medien. Das hat Konsequenzen: Ich muss gestehen, mich nervt es, mein Telefon zu drehen, um Videos zu schauen. Und so geht es offenbar auch vielen anderen Nutzern. Ein Trendreport der Investmentfirma Mary Meeker zeigt, dass Nutzer in den USA 2015 schon rund ein Drittel ihrer Zeit damit verbracht haben, Webinhalte vertikal zu nutzen und ihr Mobiltelefon also nicht zu drehen. Es gibt viele gute Argumente für horizontale Videos – allen voran: unsere Augen sind nebeneinander angeordnet. Zudem produzieren wir (noch) vor allem für das klassische Fernsehen – und Fernseher hängen nun einmal horizontal an den Wänden. Es gibt aber sicher auch Themen, die sich vertikal gut umsetzen lassen. Die englischen Übersetzungen der Formatnamen verraten einiges: „Portrait“-Mode beschreibt das vertikal aufgenommene Bild – ist das Hochkantformat also vor allem dazu geeignet, im weitesten Sinne Menschen zu porträtieren? Denn auf einem horizontalen Bildschirm verlieren sich Menschen oft in unwichtigem Drumherum. „Landscape“ beschreibt dagegen das horizontal aufgenommene Bild – ist das Querformat also vor allem geeignet, das ganze Bild zu zeigen, einen Überblick zu geben?
Ein zweiter Trend ist unverkennbar: Immer mehr Nutzer besuchen soziale Medien, um Nachrichten zu finden. Fast die Hälfte (46 Prozent) nutzen Facebook & Co., um sich zu informieren. Facebook fördert Nachrichten- und Bewegtbildinhalte und bietet ein immer breiteres Angebot. Die Homepage von Nachrichtenanbietern verliert dagegen an Gewicht. Was bedeutet das für die Inhalte, die wir produzieren? Wie müssen Nachrichten aussehen, die Menschen vor allem mobil konsumieren? „Al Jazeera plus“, der junge Ableger des arabischen Nachrichtenkanals, hat in den USA viel mit Videos experimentiert, die von Mobiltelefonen für die Nutzung auf Mobiltelefonen produziert wurden. AJ+ hat beispielsweise intensiv über die Unruhen in Ferguson nach dem Tod von Michael Brown 2014 berichtet. Die AJ+-Producerin Shadi Rahimi hat die Prinzipien ihrer Arbeit in Ferguson bei einem Vortrag auf der Mobile Journalism Conference 2015 in Dublin so zusammengefasst:
„Wir haben ausschließlich für soziale Medien und mobile Nutzung produziert. Wir haben ausschließlich mit iPhones gefilmt und geschnitten. Geschwindigkeit ging über Qualität, sehr dynamisch. Und: Wir haben mit Texteinblendungen gearbeitet, nicht mit Overvoice-Kommentar.“ Einige dieser Regeln finden sich auch in den Tipps wieder, die ich für Videos in sozialen Medien in Kapitel 8 zusammengefasst habe. Die Ferguson-Videos wirken wie Rohmaterial, sehr wackelig, oft mit schlechtem Ton, manchmal unscharf, manchmal schlecht belichtet. Ich habe sie in einem Seminar an der Universität Hamburg Studenten gezeigt und sie gefragt, wie sie die Videos bewerten. Die Antwort hat mich überrascht: Die Videos kamen gut an – vor allem, weil sie authentisch wirkten. In einer Welt, in der Menschen selbst per Mobiltelefon immer mehr Videos produzieren, wandeln sich Sehgewohnheiten. Und offenbar werden zumindest zum Teil auch im Nachrichtenbereich Videos geschätzt, die den Zuschauer selbst in die Lage versetzen, zu urteilen: Videos, die wie Rohmaterial unkommentiert oder mit wenig Erläuterung daherkommen. Dazu passt die zweite Aussage der Studenten: Ihnen gefiel, dass eben kein „allwissender Reporter“ im Bild auftauchte und die Welt erklärte. Kurzum: Smartphones erlauben es, mit geringem Aufwand Videos zu produzieren, die in sozialen Medien möglicherweise besser funktionieren als klassische Nachrichtenfilme aus dem linearen Fernsehen. Aber auch letztere lassen sich per Smartphone professionell produzieren.
Es ist kein Zufall, dass das Mobiltelefon gleichzeitig sowohl für die Nachrichtenproduktion als auch deren Konsum zunehmend an Bedeutung gewinnt. Mit der Einführung von 5G, dem LTE-Nachfolger beim Mobilfunk, wird sich dieser Trend beschleunigen. Es lohnt sich, „Mobile Reporting“ auch in dieser Hinsicht als Chance zu begreifen – als Chance, schneller Inhalte zu liefern, die sich von dem unterscheiden, was wir bisher produzieren. Man könnte also sagen: Es lohnt sich, dem Smartphone ein wenig zuzuhören und zuzuschauen bei der Nachrichtenproduktion. Vielleicht verrät es auch einige Weisheiten, welche Inhalte bei der mobilen Nutzung gut funktionieren.

1.4 Schaffen wir unsere Kollegen ab?

Die Debatte über die Folgen von „Mobile Journalism“ wiederholt letztendlich die erbitterte Diskussion zu der Zeit, als die ersten Journalisten zur VJ- oder Spiegelreflex-Kamera griffen: Zu Recht haben viele Kameraleute diese Entwicklung mit Sorge gesehen – weil sie auf der einen Seite den eigenen Arbeitsplatz bedrohte, auf der anderen Seite aber auch zunächst Ergebnisse lieferte, die den eigenen qualitativ unterlegen waren. „Geben wir uns jetzt mit so etwas zufrieden?“ war die oft gehörte Frage. „Da kommst du wieder mit deinem Mäusekino,“ höre ich noch heute – meist scherzhaft – im NDR, wenn ich die VJ-Kamera durch die Flure trage. Diesen Sorgen begegnen wird ein Unternehmen nur, wenn es den Wandel gestaltet, Stichwort: „change management“. Denn wir werden den Wandel nicht aufhalten, nur, weil er uns nicht gefällt. Wir werden nicht in zehn Jahren noch klassisch Fernsehnachrichten produzieren, während alle anderen ähnliche Ergebnisse schneller per Mobiltelefon produzieren. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist aber ebenso wichtig: Wir müssen darauf achten, dass wir auf dem Weg nicht Talent, Wissen und Handwerk verlieren. Wir versuchen im NDR, alle Abteilungen zu beteiligen, Kollegen „mitzunehmen“, wenn wir „mobile journalism“ erproben. Am Projekt „#politag“ (siehe 1.1.) waren Kollegen sowohl aus der Redaktion als auch der Produktion beteiligt. Und wir profitieren voneinander: Der Kameramann kann dem Journalisten sehr viel besser erklären, wie er ein Bild aufbaut oder wie er mit einer schwierigen Lichtsituation umgeht. Ebenso kann der Journalist dem Kameramann Tipps geben, wie er ein Interview führt. Denn auch das wird geschehen: Wir bewegen uns aufeinander zu, zumindest im Nachrichtengeschäft. So wie es in der Redaktion Kollegen geben wird, die ihre Finger nach technischen Geräten ausstrecken, so wird es Produktionskollegen geben, die ihre Schwerpunkte in journalistische Felder verlagern. Am Ende wandeln sich so alle Berufsbilder.
Braucht man weniger Personal? Sicherlich wird mancher Intendant oder Programmdirektor diese Frage mit „Ja“ beantworten. Wenn Produktion weniger aufwändig ist, wenn Berufsbilder sich einander nähern, entstehen auch Freiräume. Es sind aber Freiräume, die wir dringend benötigen, um unsere Inhalte weiterzuentwickeln. Denn heute produzieren wir in hoher Arbeitsverdichtung viele Minuten lineares Fernsehen. Wenn wir unsere Qualität im „klassischen Fernsehen“ erhalten, aber auch in sozialen Medien stattfinden wollen, brauchen wir neue Freiräume. „Al Jazeera Plus“ hat seine Ferguson-Berichte beispielsweise ausschließlich von Smartphones für Smartphones produziert. Andere Reporter haben die Berichterstattung für den klassischen TV-Nachrichtenkanal Al Jazeera übernommen. Diese Trennlinie hat sicherlich auch keine Zukunft. Aus meiner Sicht werden künftig Teams von Reportern (Kameraleuten, Technikern) vor Ort arbeiten, die in enger Kooperation verschiedene Plattformen bedienen und auch den Erfordernissen dieser unterschiedlichen Ausspielwege gerecht werden. Wollen wir beispielsweise Geschichten vertikal auf Snapchat erzählen (vgl. Kapitel 8. 4.), wird sich parallel nicht auch noch livestreamen und ein eigener horizontaler Film fürs lineare Fernsehen machen lassen. Neu zu klären sind beispielsweise auch Honorarfragen: Ein Reporter wird nicht mehr für „den einen Film“ honoriert werden können, den er liefert. Denn als „mobile reporter“ wird er mehrere, unterschiedliche Berichte von einem Ereignis, zu einem Thema liefern. Das Spektrum der Formen und Plattformen wird breiter – und auch das Publikum fragmentiert sich. Wir werden mehr Inhalt produzieren müssen, um weiter dieselbe Zahl von Zuschauern, Hörern oder Lesern erreichen zu können. Daher wäre es fahrlässig, „mobile journalism“ wie auch andere neue Produktionsformen vor allem als Chance zu sehen, Geld und Personal zu sparen. Es ist vor allem eine Chance, anders zu berichten, die neue Möglichkeiten eröffnet und daher auch zusätzliche Energie erfordert.

1.5 Schaffen wir uns selbst ab?

Weil viele Smartphone-Hersteller und Internet-Anbieter Video für immer wichtiger halten, werden die Kameras immer besser. Und nicht nur das: Die Apps, mit denen sich Videos und Fotos bearbeiten und online stellen lassen, werden immer einfacher und für jeden beherrschbar. Smartphones sind Massenware, erschwinglich für jedermann. Bei „mobile journalism“ setzen wir also auf Produktionsmittel, die jeder kaufen und beherrschen kann. Wir geben damit einen entscheidenden
Vorsprung auf: Professionelles Fernseh- (und eingeschränkt auch Hörfunkequipment) konnte sich eben nicht jeder leisten. Schon daher brauchte es zunächst gemeinschaftlich öffentlich-rechtlich, dann auch kommerziell finanzierte Fernsehsender, um Fernsehen zu produzieren. Fernsehen war eine Investitionstechnik. Das ist zumindest teilweise Geschichte. Kann jetzt jedermann Fernsehen? Michael Rosenblum, einer der ersten Lehrer der weltweiten VJ-Bewegung, ist dieser Auffassung. Er ist der festen Überzeugung, dass „Mojos“ noch nicht begriffen haben, dass sie der Anfang vom Ende sind.
We make it, you watch it – it´s the dumbest thing you can do to believe that will work in the future. Übersetzt: „Wir produzieren, ihr schaut. Es ist dumm, zu glauben, dass das in Zukunft noch funktionieren wird.“ Für Michael Rosenblum erschafft der Smartphone-Boom eine „Welt voller Kameralinsen“. „Hört auf die Technik“, rief er den Teilnehmer der Mobile Journalism Konferenz 2015 in Dublin zu: „Bald gibt es 3 Milliarden Inhalteproduzenten.“ Journalisten werden Kuratoren: Nach Rosenblums Überzeugung wird sich die Aufgabe von Journalisten vor allem darauf beschränken, die Inhalte dieser „3 Milliarden Smartphone-Produzenten“ zu kuratieren. Ich bezweifele das: Rosenblum hat recht damit, dass die Technik für jedermann zugänglich wird. Journalistisches Handwerk jedoch ist sehr viel mehr als Technik. Recherche, Aufbau eines Berichts, die „gute Story“ zu erzählen, bedeutet sehr viel mehr als die nackte Möglichkeit, Video aufzunehmen oder zu streamen. Die Konkurrenz wächst allerdings: Journalisten sind teuer, Amateure, die Inhalte liefern, sind günstig oder kosten gar nichts. Internetdienste wie Google, Facebook oder Youtube setzen daher viel daran, Inhalte ihrer Nutzer zu kuratieren und für andere nutzbar zu machen, sie bieten mit Diensten wie Googles „Youtube Newswire“ sogar kuratiere Portale mit Video zu nachrichtlichen Ereignissen an, deren Inhalt zur weiteren Nutzung lizensiert werden kann. Insofern spielt „mobile journalism“ denen in die Hände, die bisher keinen Bewegtbildinhalt produzieren. Die Konkurrenz auf dem Videomarkt wird deutlich größer werden. Auch viele Verlage erkennen die Chancen: Video ist wichtig für den Erfolg einer Website, aber sehr teuer zu produzieren. Smartphones versetzen die Reporter von Tageszeitungen und Magazinen nun erstmals in die Lage, ohne große Investitionen Bewegtbild einzusetzen. Alle größeren Printmedien in Deutschland produzieren mittlerweile Videos, einige mit mehr, andere mit weniger Erfolg. Auffällig ist, dass es vor allem die Verlage und gerade nicht die klassischen Bewegtbilderanbieter wie die Fernsehsender sind, die Pionierarbeit im „mobile reporting“ leisten: In diesem Buch wird die Rede von stern.de- und BILD-Reportern sein, die erfolgreiche Livestreams produzieren. BILD hat zudem erfolgreich mit vertikalen Videomagazinen experimentiert. Smartphone-Journalismus hat viel in Bewegung gebracht – neue Wettbewerber auf dem Videomarkt, die die klassischen Bewegtbild-Produzenten herausfordern.

1.6 Neue Freiheit durch Mobile Journalism

In entwickelten Ländern bedeutet Mojo vor allem neue Konkurrenz, zudem: eine Erweiterung der Möglichkeiten, mehr Flexibilität, vielleicht ein Weg, Kosten zu sparen. Anderswo hat Smartphone-Journalismus eine sehr viel höhere Relevanz, vielleicht Brisanz: nämlich aktiv ein Land (mit) zu verändern. Nehmen wir als Beispiel Myanmar, das in den Jahren 2015/2016 einen spannenden Transformationsprozess durchmachte. Nach jahrzehntelanger Herrschaft des Militärs demokratisiert sich das Land, die Macht kommt langsam (für einige zu langsam) zurück zum Volk. Das hat auch Folgen für die Medien. Jahrelang war der staatliche Fernsehsender MRTV die einzige Stimme der Burmesen. Schon früh haben Medienentwicklungs-Stiftungen wie BBC Media Action damit begonnen, Journalisten auszubilden, die parallel zum staatlichen Rundfunk unabhängig Hörfunk und Fernsehen produzieren. Das Problem: Insbesondere die Fernsehtechnik, selbst VJ-Kameras, kann sich in Myanmar kein unabhängiger Journalist leisten. 2014 begann die damalige Programmleiterin von BBC Media Action in Myanmar, Clare Lyons, damit, ein „Moeljo“-Programm zu entwerfen: „Mobile Election Journalism“ (Abb. 01-05). Android-Smartphones waren und sind weit verbreitet in Myanmar, und seit kurzem sind auch sie gut genug, um TV-Berichte zu produzieren. In Myanmar versetzt „mobile journalism“ Journalisten (darunter viele Blogger) also überhaupt erst in die Lage, sich zu einer freien, unabhängigen Stimme neben dem staatlichen Rundfunk zu entwickeln. Ich hatte die Gelegenheit, einige Tage mit dem Team von BBC Media Action in Yangon zusammenzuarbeiten und sie in ihrem MoeljoProjekt zu beraten. Andere #Mojos haben in afrikanischen Ländern (Kenya) mit Journalisten gearbeitet und ähnliche Erfahrungen gemacht: Smartphone-Journalismus macht dort einen riesigen Unterschied. Er macht die theoretische Freiheit, zu berichten, erst praktisch nutzbar. Ein Urgestein der #Mojo-Bewegung, Ivo Burum, hat nach jahrelanger Arbeit für den australischen Sender ABC die ersten Schritte dieser Medienentwicklungsarbeit in Australien geleistet: In dem Projekt „NT Mojo“ hat er neun Angehörigen indigener Gemeinschaften „mobile journalism“ beigebracht und ihnen damit die Möglichkeit gegeben, ihre Themen und Belange mit einer größeren Zuschauerschaft zu teilen. Zudem hat Burum in anderen Teilen Australiens und im indonesischen Timor Angehörige von Minderheiten und ausgebildet. Auch hier hat erst das Smartphone die Teilnehmer seiner Projekte in die Lage versetzt, in Bild und Ton zu berichten. Seine #Mojo-Projekte richten sich nicht nur an ausgebildete Journalisten: Burum sieht auch „Citizen journalism“, also Bürgerjournalismus, als vielversprechenden Ansatz. „Mobile Journalism“ ist mehr als iPhone-Jouralismus: Dieser Satz ist mit Blick auf sich entwickelnde Länder besonders wichtig. In den vergangenen Jahren hat das iPhone die Entwicklung vorangetrieben. Es ist nun jedoch ebenso wichtig, die Entwicklung auf Android-Telefonen nachzuvollziehen, die in sich entwickelnden Ländern sehr viel verbreiteter sind und vielfach die einzige Plattform sind, auf der Journalisten Bewegtbild-Inhalte produzieren können.