Econ-Logo

Die Überschrift

Buch
bestellen
Startseite Journalistische Praxis Econ Verlag Impressum
Foto von Jürgen Reents  

Jürgen Reents

Neues Deutschland, Berlin

Jürgen Reents, 1949 in Bremerhaven geboren, ist seit 1999 Chefredakteur des „Neuen Deutschland“. 1971 gründete er seinen gleichnamigen Verlag, der unter anderem die Zeitschrift „arbeiterkampf“ herausgab. Ab 1980 arbeitete er als freier Journalist für verschiedene linke Publikationen (darunter „konkret“, „Moderne Zeiten“. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Partei Die Grünen, arbeitete als Abgeordneter im Deutschen Bundestag, war Mitglied im Landesvorstand Hamburg und bis 1990 im Bundesvorstand der Grünen tätig. 1991 verließ er die Partei. Reents war vor seiner Berufung zum Chefredakteur des ND Pressesprecher der PDS-Bundestagsfraktion. Die Chefredaktion der Tageszeitung „Neues Deutschland“ übernahm der 58-jährige Politiker und Journalist 1999 und wurde damit der erste Chefredakteur des Blattes, der nicht aus der SED-Nomenklatur stammt.





Interview


Mit einer Überschrift steht oder fällt die Neigung des Lesers, den nachfolgenden Artikel auch zu lesen, für den sich ein Journalist so viel Arbeit gemacht hat. Eine Überschrift ist ebenso wichtig für den Leser wie ein aussagekräftiges Foto. Beide sollen neugierig machen und zum Lesen animieren, verführen... Im Folgenden geben leitende Redakteure von Tageszeitungen Auskunft, welchen Stellenwert sie dem Thema „Überschriften“ in ihren Zeitungen einräumen.

Wir sprachen mit dem Chefredakteur des Neuen Deutschland (ND)/Berlin, Jürgen Reents.


Sie sind seit April 1999 Chefredakteur beim Neuen Deutschland (ND). Wie hat sich in Ihrer Zeitung die Formulierung und Gestaltung einer Überschrift im Laufe der Jahre verändert?

Das Neue Deutschland war bis 1989 Zentralorgan der SED. Gegenüber jener Zeit haben sich die Überschriften, wie der gesamte Inhalt der Zeitung, enorm verändert. Das ND ist keine Parteizeitung mehr, also nicht an Direktiven inhaltlicher Art, aber auch nicht an die früher trocken–hölzerne Parteisprache gebunden. Aber auch im Verlauf der zurückliegenden 17 Jahre des redaktionell unabhängigen ND gab es eine sichtbare Entwicklung der Überschriften. Wir versuchen unsere Überschriften pointierter und ausdrucksstärker zu formulieren, zuweilen auch mit einer kleinen Prise Ironie. Obwohl das bei Überschriften eine waghalsige Sache sein kann und das „Nebengeräusch“ nicht immer von allen Lesern so verstanden wird, wie wir es gerne verstanden haben wollen. Bis vor drei Jahren gab es in ND doppelzeilige Überschriften für den Aufmacher. Seit einem Relaunch im Mai 2004 formulieren wir diese nur noch konsequent einzeilig, mit einer Laufweite von vier Spalten in einem sechsspaltigen, halbrheinischen Layout. Das erfordert natürlich eine viel dichtere, knappere Formulierung.

Welche Rolle spielt für Sie eine Überschrift? Welchen Stellenwert messen Sie ihr bei?

Die Überschrift des Aufmachers ist einer (!) der Hauptblickpunkte für jede Zeitung, die mit anderen am Kiosk konkurriert. Aber eben: einer von mehreren. ND ist wie die meisten Zeitungen inzwischen dazu übergegangen, ein Foto in den Aufmacher zu stellen, sichtbar über dem Bruch, oder alternativ eine „Foto-Meldung“ über den eigentlichen Aufmacher zu platzieren. Das ist ein Tribut an den zunehmend visuell orientierten Gelegenheits- oder Wechselkäufer von Tageszeitungen. Zwar wird ND zu 95 Prozent im Abonnement verkauft, aber der Einzelverkauf am Kiosk ist eines der Terrains, auf dem wir neue Leserinnen und Leser gewinnen wollen. Den Ästhetik-Streit darüber, wie die Titelseite einer Qualitätszeitung optimal aussehen sollte, einmal beiseite gelassen. Allerdings bin ich überzeugt, dass auch die Kombination von Aufmacher—Titel und Foto nicht allein darüber entscheiden, welche Zeitung sich jemand am Kiosk aussucht, wenn er nicht ohnehin auf eine bestimmte festgelegt ist. Dafür mache ich auch mein eigenes Verhalten bei Zeitungskäufen zum Beispiel im Urlaub geltend: Ich achte selbst nur begrenzt auf diese beiden Elemente und stärker darauf, was die entsprechende Tageszeitung sichtbar aus ihrem Innenteil anbietet, worauf also in einer Hinweiszeile über oder in Anrissen unter dem Zeitungskopf aufmerksam gemacht wird. Das ist zwar subjektiv und es mögen andere ganz anders auf eine Titelseite schauen, aber so vereinzelt dürfte dies auch nicht sein.

Schreiben Ihre Redakteure die Überschriften selbst oder gibt es beim ND spezielle Überschriftenredakteure?

Das ND hat keine speziellen Überschriftenredakteure. Die vom bearbeitenden Redakteur entworfene Überschrift des Aufmachers wird jedoch in der Spätkonferenz vor Redaktionsschluss beraten und dort häufig auch verändert.

Gehört die Formulierung einer guten Überschrift zur „Königsdisziplin“ im Journalismus?

Wenn es denn so was überhaupt gibt... Als „Königsdisziplin“ sehe ich eher eine verständliche – verstehbare!, logisch formulierende – nachvollziehbare!, und den Leser nicht langweilende, sondern mitnehmende! — Sprache an, egal in welchem Genre des Journalismus. Also die Qualität eines Textes und nicht eine besondere Form. Aber natürlich betreffen genau diese Merkmale auch die Überschrift als ersten Bestandteil eines Artikels, der die Leserinnen und Leser zum Einsteigen oder Ignorieren des folgenden Textes veranlasst.

Sind Überschriften mit einem Werbeslogan zu vergleichen und könnte man dann den Überschriftentexter mit einem Werbetexter vergleichen?

In dem guten Sinne ja, dass eine Überschrift „werben“ und nicht etwa davon abhalten soll, den dazu gehörigen Artikel zu lesen. Da heutzutage aber unter „Werbetexter“ und „Werbeslogan“ zumeist eine Tätigkeit oder deren Resultat verstanden werden, die allein auf Emotion und nicht auf Verstand setzen, und deswegen zu Tarnung und Beschönigung neigen: Nein. Eine Überschrift darf nichts vortäuschen, was der folgende Artikel nicht einlöst.

Steht die Überschriften-„Bibel“ von Wolf Schneider und Detlef Esslinger in Ihrem Bücherregal und sollte sie zum Handwerkzeug eines guten Journalisten gehören?

Nein, auch nicht in dem unseres Chefs vom Dienst, der die Tagesausgabe redaktionell leitet. Ob sie ein gutes Handwerkzeug ist, kann ich nicht beurteilen. Ich gestehe, dass ich sie nicht kenne. Aber das liegt vielleicht auch an einem generellen Vorbehalt, der sich zwischen mir und „Bibeln“ – egal welcher Sorte – eingemietet hat.


Das Interview führte Martina Frenzel

Zum Seitenanfang