Bernd Oswald – Storytelling

Interview mit Storytellling-Experte und Datenjournalist Bernd Oswald

Jede Reportage erzählt eine Story, aber nicht jede Story ist eine Reportage, sagt Bernd Oswald, Digitaljournalist mit einem Faible für neue Erzählformen. Er ist freier Mitarbeiter bei BR24, dem trimedialen Nachrichtenangebot des Bayerischen Rundfunks. Parallel dazu arbeitet Bernd Oswald als Trainer für digitalen Journalismus.

Storytelling – was verbirgt sich dahinter?

Storytelling ist eine Methode, auf anschauliche und emotionale Art Geschichten zu erzählen – idealtypisch am Beispiel von Menschen, die eine interessante Entwicklung durchmachen beziehungsweise durchgemacht haben.

Was will und was kann Storytelling?

Storytelling will Themen personalisieren, denn Menschen sind der kürzeste Weg zwischen einem Thema und dem Publikum. Handlungen, Emotionen, Szenen kommen besser an als reine Fakten.

Worin unterscheidet sich Storytelling von der klassischen Reportage?

Reportagen holen in der Regel weit aus und versuchen, an einem konkreten Beispiel beziehungsweise einem Protagonisten, einen übergeordneten gesellschaftlichen Trend aufzuzeigen. Eine Story kann aber schon eine kleine Episode sein, etwa die Schilderung, wie einem Hobbytüftler die Idee zu einer Erfindung gekommen ist. Storytelling ist also nicht an eine bestimmte Darstellungsform geknüpft. Jede Reportage erzählt eine Story, aber nicht jede Story ist eine Reportage.

Wie geht modernes Storytelling?

Gutes Storytelling sollte man gründlich planen. Ich empfehle folgende Checkliste:

1. Was ist meine Geschichte oder Story? Welche Kernaussage will ich transportieren?

2. Wer ist mein Held oder Protagonist?

3. Zielgruppe festlegen: Wen will ich mit meiner Story erreichen? Welche Ansprache brauche ich?

4. Kanal festlegen: Wo will ich meine Story veröffentlichen? Welche Eigenheiten gibt es?

5. Ereignis zerlegen: Welche spannenden Personen, Zitate, Aktionen, Objekte und Orte gibt es?

6. Dreh- oder Rechercheplan erstellen: Wie beziehungsweise mit welchem Medium kann ich die einzelnen Elemente am besten erfassen?

7. Benötigtes Material recherchieren und produzieren.

8. Geschichte gliedern, zum Beispiel mit einem Storyboard, in dem man für jede Szene den jeweiligen Medientyp (Text, Bild, Video) und den zugehörigen (Sprecher-)Text aufschreibt.

 9. Dramaturgie festlegen: Aus dem Film ist das Konzept der Heldenreise bekannt. Gerade bei größeren Geschichten sollte man auf einen guten Spannungsbogen achten.

10. Story produzieren.

Glauben Sie, dass im digitalen Zeitalter noch eine Nachfrage nach ausführlichen und hochwertigen journalistischen Geschichten besteht?

Ja. Für gute Geschichten wird es immer einen Markt geben. Im Digitalzeitalter ist eine gute Usability besonders wichtig, das heißt, dass sich der Nutzer leicht in der Geschichte zurechtfindet, dass die Navigation selbsterklärend ist. Wobei Storytelling nicht ellenlang sein muss. Es gibt auch Beispiele für kurze Geschichten, gerade die Instagram-Storys.

Wo wird Storytelling online eingesetzt?

Da gibt es unzählige Ansätze und Beispiele. David Schraven und Jan Feindt erzählen die Geschichte der Weißen Wölfe als Graphic Novel. In seinem Podcast Hörfehler lässt sich Nick Kaßner von seinen Gästen die Geschichte eines Fußballvereins erzählen. Der WDR hat dem Bergbau mit der 360-Grad-Story Glückauf ein Denkmal gesetzt. Und schon ein Klassiker sind die Audio-Slideshows von 2470.media/taz, zum Beispiel die ausgezeichneten Berlinfolgen.

Worin unterscheiden sich Storytelling und Scrollytelling?

Der Begriff Scrollytelling ist ein Kofferwort aus Scrollen und Storytelling. Er wird für lange Web-Reportagen und Web-Storys gebraucht, durch die man sich durchscrollt, oft von Kapitel zu Kapitel. Insofern ist Scrollytelling eine Unterform des Storytellings.

Wann wende ich am besten welche Form an?

Das hängt davon ab, um was es in der Story geht, welche Akteure und Schauplätze es gibt, welche Handlungen. Praktisch ist das Multimedia-Storytelling-Tool der Schweizer Journalistenschule MAZ, das anhand eines Flussdiagramms empfiehlt, welches Format sich für welche Inhalte eignet.

Grafiken, Statistiken, Videos, Audios, Animationen – welche Elemente wenden Sie in Ihren Geschichten wann an?

Auch das hängt stark vom Thema ab. Wenn ich eine Datenauswertung gemacht habe, wie bei der Stadionstatistik des TSV 1860 München, dann lassen sich die Ergebnisse am besten als Diagramm präsentieren. Videos eignen sich gut, um Handlungen und Emotionen zu zeigen, sie sind sehr authentisch. Und ganz ohne erklärenden Text geht es so gut wie nie. Es kommt auch immer darauf an, ob man einen oder mehrere Aspekte in einer Story umsetzt. Ein Porträt funktioniert zum Beispiel gut als Stand-alone-Video. Es muss ja nicht immer gleich eine riesige Web-Reportage sein, in die man alle Medientypen einbaut.

Bernd Oswald bloggt über neue (Storytelling-)Trends im digitalen Journalismus auf journalisten-training.de und twittert als @berndoswald. Kürzlich ist sein Buch „Digitaler Journalismus. Ein Handbuch für Recherche, Produktion und Vermarktung“ erschienen.

Das Interview führte Susann Niedermaier.