Susi Krauseneck – Storytelling

Interview mit Storytelling-Expertin Susi Krauseneck

Susi Krauseneck: Journalistin, Radiomoderatorin und Mediencoach Susi Krauseneck ist seit 15 Jahren Redakteurin und Moderatorin für tagesaktuelle Medien. Sie war bei Radio Arabella und Charivari in München tätig. Heute arbeitet die Expertin für Storytelling als Dozentin, Moderatorin und Medientrainerin. Im Interview beleuchtet sie Storytelling von allen Seiten.

Storytelling – Was verbirgt sich dahinter?

Es ist das Buzzword unserer Zeit, doch die Technik ist uralt. Im Kern geht es um das Transportieren von Weisheiten, Visionen oder Botschaften mittels Geschichten. Ursprünglich stammt Storytelling aus dem Ort, an dem die großen Geschichten mit viel Dramaturgie und Spannungsbogen gedreht werden: Hollywood. Mitte der 90er-Jahre wurde in den USA erstmals die Idee aufgegriffen, die Methodik von Storytelling strategisch auch in Unternehmensbereichen anzuwenden. Im Journalismus gibt es ebenfalls seit langer Zeit spannende Geschichten oder Reportagen. Neu ist das digitale Storytelling mit viel mehr technischen Möglichkeiten in der Umsetzung.

Was will und was kann Storytelling?

Storytelling will inspirieren, begeistern, unterhalten, Emotionen wecken, Identifikation schaffen und Ideen kreieren. Storytelling kann Spannung und Aufmerksamkeit erzeugen, Verständnis generieren, komplexe Sachverhalte erklären, positive Handlungsimpulse auslösen, Gegner oder Partner überzeugen und Visionen vermitteln.

Worin unterscheidet sich Storytelling von der klassischen Reportage?

Eine klassische Reportage kann eine Form von Storytelling sein, muss aber nicht. Beispiel: Eine rein handlungs- oder ortsbezogene Reportage ist noch kein Storytelling, da hier nicht der Mensch im Mittelpunkt steht – und damit steht und fällt Storytelling. Eine Reisereportage aus der Sicht eines Reisenden mit eigenen Erfahrungsberichten und Erlebnissen ist dagegen „echtes“ Storytelling. Ebenso die klassische „Heldenreise“: Auch hier steht der Mensch im Zentrum der Geschichte, ebenso zentral sind die Identifikation mit dem Hauptprotagonisten und die Botschaft am Ende der Story.

Wie geht modernes Storytelling?

Journalisten und Unternehmen bedienen sich beim Storytelling vielfältiger Kanäle: von Instagram-Stories und Podcasts bis hin zu YouTube-Videos. Das Schöne daran: Je mehr unterschiedliche Formate verwendet werden, desto aussagekräftiger und facettenreicher wird die Story. Phantasie oder Kopfkino lassen sich durch Audio-Produkte schaffen, Visualisierungen mit Videos, kurze Handlungsstränge durch Fotostrecken. In der Wissenschaft und Digitalisierung dient Storytelling der Vermittlung von Expertenwissen, im Change-Management oder auch bei agilen Arbeitsprozessen wird es eingesetzt, um unter Mitarbeitern Verständnis zu generieren oder neue Sachverhalte zu transportieren.

Besteht im digitalen Zeitalter noch Nachfrage nach ausführlichen und hochwertigen journalistischen Geschichten?

Unbedingt! Das Eine ersetzt nicht das Andere. Durch die digitalen Möglichkeiten hat sich im Journalismus vieles verändert, wie in so vielen Business-Bereichen. Ohne Frage braucht es im Netz eine gewisse Schnelligkeit und Kürze, um Informationen an die Empfänger zeitgemäß zu transportieren. Wenn ich in der U-Bahn sitze und schnell per Smartphone meine Social-Media-Kanäle durchklicke, sind kurze Textabschnitte von absoluter Relevanz, um den Inhalt schnell zu erfassen. Bei längeren Auto- oder Zugfahrten dagegen höre ich sehr gerne ausführliche Podcasts oder Hörbücher. Die Tiefe der Informationen und der Zeitfaktor stehen hier im Vordergrund. Jedes Format hat seine Berechtigung, ob digital oder analog, ob kurz oder lang. Ich denke, dass im Online-Bereich vieles nicht zu komplex sein darf. Das gilt sowohl für die textliche Aufbereitung als auch für den Inhalt. Eine Geschichte ist nicht erst dann hochwertig, wenn sie besonders ausführlich oder anspruchsvoll ist. Die aktuellen Tagesnachrichten gibt es in der ARD-Tagesschau ausführlich um 20.00 Uhr, die wichtigsten Nachrichten online als Zusammenfassung „In 100 Sekunden“. In der Mediathek findet man gleichzeitig eine Dokumentation über 90 Minuten. Die Frage ist nicht ob, sondern wie Informationen, Interviews, Reportagen oder Nachrichten ihre Form und Berechtigung im Netz finden. Eine Instagram-Story ersetzt keine gut umgesetzte, journalistische Reportage.

Storytelling und Scrollytelling: Wo liegt der Unterschied?

Storytelling ist eine narrative Technik des Geschichtenerzählens, die man in unterschiedlichen Bereichen findet: Journalismus, Speaker, Unternehmenskommunikation, Change-Management, aber auch im Film, in der Werbung oder in der Literatur. „Harry Potter“ und „Matrix“ sind zwei der berühmtesten Storytelling-Heldenreisen aus der Filmbranche. Storytelling funktioniert sowohl digital als auch analog. Scrollytelling ist eine digitale und multimediale Form von Storytelling, die sich vor allem für Journalisten eignet. Hier stehen dem Autor mehrere digitale Kanäle zur Verfügung: Fotos, Videos, Audio und Text. Durch das digitale Scrollen nach unten wird die Geschichte erzählt.

Für welche Inhalte eignet sich Scrollytelling?

Je facettenreicher ein Thema ist, desto besser lässt sich Scrollytelling einsetzen. Ein Beispiel: Ein Interview mit dem Vorstand eines großen deutschen Technologiekonzerns über die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftsrezession eignet sich weniger, da hier Einschätzungen, Fakten, Expertisen oder Zahlen im Vordergrund stehen, nicht die Geschichte oder der Mensch. Ein Feature über einen Protagonisten oder eine Reportage, die vor allem visualisierende Elemente verlangt, eignet sich wiederum hervorragend, denn erst das Zusammenspiel von Bildern, Videos und persönlichen Schilderungen ergeben ein rundes Bild.

Multimedialität: Welche Elemente wenden Sie in Ihren Geschichten an?

Am liebsten alle! Videos, Audios, Animationen, Grafiken und datenjournalistische Anwendungen. Das bringt die größtmögliche Vielfalt, eine Geschichte zu erzählen. Man sieht etwas, man hört etwas, man liest etwas. Wobei ich dabei immer ein großer Fan von Kürze bin. Ich habe 20 Jahre beim Radio gearbeitet und liebe die Möglichkeit, eine Geschichte, ein gutes Gespräch oder auch Informationen spannend und in Kürze auf den Punkt zu bringen.

Wo wird Storytelling online eingesetzt?

Im journalistischen Bereich im Grunde überall. Vom Fernsehen über Zeitung und Zeitschriften bis hin zum Radio geht es um nichts Anderes als Geschichten cross- und multimedial zu erzählen. Unternehmen nutzen Storytelling, um durch Erzähltechnik Pressemitteilungen klarer zu vermitteln, intrapersonelle Prozesse einfacher zu erklären, die Firmengeschichte wirksam auf der Internetseite aufzubereiten, Vorträge spannend zu gestalten, Botschaften bei Verkaufs- oder Investorengesprächen erfolgreich zu positionieren oder Themen wie Diversity möglichst authentisch per Social-Media zu transportieren. Wie wichtig effektives Storytelling auf Führungsebene für Unternehmen sein kann, zeigt das Beispiel Steve Jobs. Seine legendären Storytelling-Auftritte bei Markteinführungen haben die Marke Apple erst richtig erfolgreich gemacht.

Geht Online-Journalismus noch ohne Storytelling?

Warum sollte man auf diese wunderbar unterhaltende Form verzichten? Klar könnte man auch das Netz mit 10-Punkte-Plänen, Checklisten oder Online-Artikeln vollknallen. Aber was wäre der Journalismus ohne eine großartige, spannende, bilderreiche, inspirierende Geschichte, die Sie in eine völlig andere Welt katapultiert?

Mehr über Susi Krauseneck erfahren Sie hier: https://krauseneck.de/

Das Interview führte Susann Niedermaier

Bernd Oswald – Storytelling

Interview mit Storytellling-Experte und Datenjournalist Bernd Oswald

Jede Reportage erzählt eine Story, aber nicht jede Story ist eine Reportage, sagt Bernd Oswald, Digitaljournalist mit einem Faible für neue Erzählformen. Er ist freier Mitarbeiter bei BR24, dem trimedialen Nachrichtenangebot des Bayerischen Rundfunks. Parallel dazu arbeitet Bernd Oswald als Trainer für digitalen Journalismus.

Storytelling – was verbirgt sich dahinter?

Storytelling ist eine Methode, auf anschauliche und emotionale Art Geschichten zu erzählen – idealtypisch am Beispiel von Menschen, die eine interessante Entwicklung durchmachen beziehungsweise durchgemacht haben.

Was will und was kann Storytelling?

Storytelling will Themen personalisieren, denn Menschen sind der kürzeste Weg zwischen einem Thema und dem Publikum. Handlungen, Emotionen, Szenen kommen besser an als reine Fakten.

Worin unterscheidet sich Storytelling von der klassischen Reportage?

Reportagen holen in der Regel weit aus und versuchen, an einem konkreten Beispiel beziehungsweise einem Protagonisten, einen übergeordneten gesellschaftlichen Trend aufzuzeigen. Eine Story kann aber schon eine kleine Episode sein, etwa die Schilderung, wie einem Hobbytüftler die Idee zu einer Erfindung gekommen ist. Storytelling ist also nicht an eine bestimmte Darstellungsform geknüpft. Jede Reportage erzählt eine Story, aber nicht jede Story ist eine Reportage.

Wie geht modernes Storytelling?

Gutes Storytelling sollte man gründlich planen. Ich empfehle folgende Checkliste:

1. Was ist meine Geschichte oder Story? Welche Kernaussage will ich transportieren?

2. Wer ist mein Held oder Protagonist?

3. Zielgruppe festlegen: Wen will ich mit meiner Story erreichen? Welche Ansprache brauche ich?

4. Kanal festlegen: Wo will ich meine Story veröffentlichen? Welche Eigenheiten gibt es?

5. Ereignis zerlegen: Welche spannenden Personen, Zitate, Aktionen, Objekte und Orte gibt es?

6. Dreh- oder Rechercheplan erstellen: Wie beziehungsweise mit welchem Medium kann ich die einzelnen Elemente am besten erfassen?

7. Benötigtes Material recherchieren und produzieren.

8. Geschichte gliedern, zum Beispiel mit einem Storyboard, in dem man für jede Szene den jeweiligen Medientyp (Text, Bild, Video) und den zugehörigen (Sprecher-)Text aufschreibt.

 9. Dramaturgie festlegen: Aus dem Film ist das Konzept der Heldenreise bekannt. Gerade bei größeren Geschichten sollte man auf einen guten Spannungsbogen achten.

10. Story produzieren.

Glauben Sie, dass im digitalen Zeitalter noch eine Nachfrage nach ausführlichen und hochwertigen journalistischen Geschichten besteht?

Ja. Für gute Geschichten wird es immer einen Markt geben. Im Digitalzeitalter ist eine gute Usability besonders wichtig, das heißt, dass sich der Nutzer leicht in der Geschichte zurechtfindet, dass die Navigation selbsterklärend ist. Wobei Storytelling nicht ellenlang sein muss. Es gibt auch Beispiele für kurze Geschichten, gerade die Instagram-Storys.

Wo wird Storytelling online eingesetzt?

Da gibt es unzählige Ansätze und Beispiele. David Schraven und Jan Feindt erzählen die Geschichte der Weißen Wölfe als Graphic Novel. In seinem Podcast Hörfehler lässt sich Nick Kaßner von seinen Gästen die Geschichte eines Fußballvereins erzählen. Der WDR hat dem Bergbau mit der 360-Grad-Story Glückauf ein Denkmal gesetzt. Und schon ein Klassiker sind die Audio-Slideshows von 2470.media/taz, zum Beispiel die ausgezeichneten Berlinfolgen.

Worin unterscheiden sich Storytelling und Scrollytelling?

Der Begriff Scrollytelling ist ein Kofferwort aus Scrollen und Storytelling. Er wird für lange Web-Reportagen und Web-Storys gebraucht, durch die man sich durchscrollt, oft von Kapitel zu Kapitel. Insofern ist Scrollytelling eine Unterform des Storytellings.

Wann wende ich am besten welche Form an?

Das hängt davon ab, um was es in der Story geht, welche Akteure und Schauplätze es gibt, welche Handlungen. Praktisch ist das Multimedia-Storytelling-Tool der Schweizer Journalistenschule MAZ, das anhand eines Flussdiagramms empfiehlt, welches Format sich für welche Inhalte eignet.

Grafiken, Statistiken, Videos, Audios, Animationen – welche Elemente wenden Sie in Ihren Geschichten wann an?

Auch das hängt stark vom Thema ab. Wenn ich eine Datenauswertung gemacht habe, wie bei der Stadionstatistik des TSV 1860 München, dann lassen sich die Ergebnisse am besten als Diagramm präsentieren. Videos eignen sich gut, um Handlungen und Emotionen zu zeigen, sie sind sehr authentisch. Und ganz ohne erklärenden Text geht es so gut wie nie. Es kommt auch immer darauf an, ob man einen oder mehrere Aspekte in einer Story umsetzt. Ein Porträt funktioniert zum Beispiel gut als Stand-alone-Video. Es muss ja nicht immer gleich eine riesige Web-Reportage sein, in die man alle Medientypen einbaut.

Bernd Oswald bloggt über neue (Storytelling-)Trends im digitalen Journalismus auf journalisten-training.de und twittert als @berndoswald. Kürzlich ist sein Buch „Digitaler Journalismus. Ein Handbuch für Recherche, Produktion und Vermarktung“ erschienen.

Das Interview führte Susann Niedermaier.