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Nachrichtengeschichte

 

„Thatsachen schnell zu Kenntnis bringen“

Die Geschichte der Nachrichtenpyramide

 

titelblatt

Der 37-jährige Bernhard Wolff, der das Nachrichtenhandwerk bei der Agentur Havas in Paris gelernt hat, erkennt als erster die Zeichen der Zeit. Im Revolutionsjahr 1848 hatte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. Order gegeben, ein „elektrisches Staatstelegraphennetz“ aufzubauen. Seit ein paar Wochen ist es der Allgemeinheit zugänglich. Wolff, der die „National-Zeitung“ verlegt, sieht im Telegrafen eine Chance für sein Blatt. So teilte die „National-Zeitung“ am 28. November 1849 ihren Lesern mit:

„Wie wir stets nach Kräften bemüht waren, das Interesse unserer geehrten Abonnenten in jeder Beziehung wahrzunehmen, so haben wir jetzt geglaubt, im Interesse unserer Leser das neue Kommunikations-Mittel der Telegraphie nicht unbeachtet lassen zu dürfen. Wir sind durch ausgedehnte Verträge in den Stand gesetzt, einstweilen täglich telegraphische Depeschen aus Paris, London, Amsterdam und Frankfurt geben zu können. Dieselben werden nicht nur das kaufmännische Interesse nach allen Richtungen hin berücksichtigen, sondern auch die wichtigsten politischen Tatsachen auf das Schnellste zur Kenntnis des Publikums bringen.“

Und so erschien gleich am 28. November die erste telegrafisch übermittelte Nachricht, in einem kleinen Kasten auf der letzten Seite! Viel zu berichten gab es allerdings nicht:

„Politisch Wichtiges Nichts.“ Das erinnert an das Bonmot des Schriftstellers Henry David Thoreau in seinem Buch „Walden“ aus dem Jahr 1854: „Wir arbeiten mit Volldampf daran, einen magnetischen Telegrafen zwischen Maine und Texas zu errichten. Das Problem ist nur: Maine und Texas haben sich vielleicht gar nichts mitzuteilen.“

Für die „National-Zeitung“ war diese Sorge unbegründet. Depeschen gab es jetzt fast in jeder Ausgabe:

Düsseldorf: Sämtliche Angeklagten des Neußer Zeughaussturmes sind freigesprochen.
Breslau: Der Wiener Eilzug hat in Oderberg den Anschluß versäumt.
München: Fürst Hohenlohe und Kriegsminister von Prankh sind heute nach Hohenschwangau zum Könige berufen.

Bemerkenswert ist der Aufbau der Depeschen: Das Wichtigste steht immer im ersten Satz. Das war bei den anderen Nachrichten Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland nicht die Regel, im Gegenteil. Zwar gab es auch Meldungen, die sich in ihrem Aufbau nicht von den heutigen Nachrichten unterschieden. Es dominierte aber eine Nachrichtenform mit stark berichtenden, erzählenden Elementen. Das Wichtigste fand der Leser oft irgendwo im Text oder erst am Ende der Nachricht.

In der Nachrichtenliteratur hält sich hartnäckig die These, der klassische Aufbau (Lead, Body) sei im Amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) entwickelt worden: Weil die Telegrafenverbindungen unsicher waren, musste das Wichtigste zuerst genannt werden. Ganz bestimmt war es um die Telegrafenverbindungen nicht zum Besten bestellt. Doch das war sicher nicht allein der Grund, Nachrichten anders aufzubauen. Denn die neue Form der Nachrichtenübermittlung selbst, das Telegrafieren, machte es notwendig, sich auf das Neue, Wichtige zu konzentrieren, in Deutschland bereits seit 1849. Denn Nachrichten mit dem Telegrafen zu verschicken, das war umständlich – und sehr teuer.

Ein Telegramm mit 20 Wörtern von Berlin nach Aachen kostete 1849 nach dem preußischen „Regulativ über die Benutzung der elektro-magnetischen Staatstelegraphen seitens des Publikums“ 5 Thaler und 6 Silbergroschen. Das Ergebnis hat der Historiker Heinrich Wuttke 1875 so beschrieben: „Weil das Telegrafiren noch so theuer berechnet wird, faßt man die Nachricht so kurz als möglich, überspringt also Zwischenworte, übergeht Nebensächliches.“

depesche

Eine Nachricht aus der Zeit des Amerikanischen Bürgerkrieges zeigt, dass auch deutsche Journalisten bereits die neue Form beherrschten. Am 27. April 1865 meldete die „National-Zeitung“ auf der letzten Seite in den „Telegraphischen Depeschen“, dass sich „Berichte über die Ermordung des Präsidenten bestätigt“ haben.
Eine detaillierte Meldung gab es am Tag danach auf Seite 3:

Newyork, 15. April, Mittags. Präsident Lincoln ist todt. Der Kugel eines Meuchelmörders ist er gefallen. Er befand sich gestern (Charfreitag) Abend in Ford`s Theater zu Washington, als kurz vor 11 Uhr ein Mann sich als angeblicher Überbringer von Depeschen Grant`s Zulaß zu seiner Privatloge verschaffte und ihn rückwärts durch den Kopf schoss, mit einem gewöhnlichen einläufigen Pistol. Der Mörder sprang aus der Loge auf die Bühne und rief aus, einen Dolch schwingend: Sic semper tyrannis!

Um Kosten zu sparen, hatte Wolff noch 1849 „Wolff`s Telegraphisches Bureau“ (WTB) gegründet, die erste deutsche Nachrichtenagentur. Wolffs Blatt, die „National-Zeitung“, war auch 50 Jahre nach ihrer Gründung noch stolz auf die Telegrafennachrichten. In einem dicken schwarzen Rahmen steht am 31. Juli 1898 die Nachricht, die offenbar in letzter Minute ins Blatt gerückt wurde:

Zu später Nachtstunde bringt der Telegraph die erschütternde Kunde aus Friedrichsruh, dass Fürst Bismarck gestern Abend 11 Uhr entschlafen ist.

 

Dietz Schwiesau

 

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