Cover des Bandes Special Interest aus der Gelben Reihe Journalistische Praxis

Medizinjournalismus

Quelle: Kathrin E.

Immer mehr Menschen informieren sich in Gesundheitsportalen, Fachzeitschriften oder Ratgebern zu Gesundheitsthemen.

Medizinjournalisten tragen somit eine besondere Verantwortung. Neben einem breiten medizinischen Grundwissen sowie ausgeprägten Recherche- und Vermittlungskompetenzen müssen Medizinjournalisten unabhängig und fundiert berichten. Dabei sollten sie Nutzen, Risiken und Kosten von Arzneimitteln und Therapieverfahren objektiv darstellen.

Die Unabhängigkeit medizinischer Berichterstattung ist jedoch gefährdet, wenn Pharmaunternehmen gesponserte Informationen als klinische Studien ausgeben oder Journalisten versteckte PR für medizinische Präparate und Behandlungsmethoden machen. Durch diese Einflussnahme der Pharmaindustrie ist es für Medizinjournalisten oft schwer, objektiv zu arbeiten.

Um Ärzte und Verbraucher vor der gezielten Beeinflussung und den täuschenden Werbeversprechen der Pharmaindustrie zu schützen und eine Hilfestellung zur systematischen Bewertung von Artikeln über Gesundheitsthemen zu bieten, wurden die „10 Regeln für guten Medizinjournalismus“ verfasst.

Diese Liste beruht auf den Kriterien für guten Medizinjournalismus der US-amerikanischen Association of Health Care Journalists und den Erfahrungen der Herausgeber der Zeitschrift  „Gute Pillen – Schlechte Pillen“.

 

10 Regeln für guten Medizinjournalismus

Was Journalistinnen und Journalisten vermitteln sollten und ihr Publikum erfahren muss

  1. Den Nutzen benennen
    Berichte über Therapien und Medikamente müssen den Nutzen für die Behandelten klar benennen. Dabei sollte der Nutzen in absoluten Zahlen angegeben werden (z.B. 8 von 100 Menschen profitieren von der Behandlung). Relative Nutzenangaben, etwa in Prozent, sind zu vermeiden, weil sie von den meisten Menschen falsch interpretiert werden.

    Quelle: Kathrin E.

  2. Den Schaden angemessen darstellen
    Alle Behandlungsmethoden können neben Nutzen auch Schaden anrichten. Der mögliche Schaden sollte wie der Nutzen in absoluten Zahlen dargestellt sein. Die Risiken neuer Methoden sind noch nicht vollständig bekannt, darauf sollte jeder Bericht hinweisen.
  3. Mit anderen Behandlungsmethoden vergleichen
    Neue Therapien oder Arzneimittel müssen im Vergleich mit bereits etablierten Behandlungsmethoden bewertet werden. Mögliche Vor- und Nachteile sollte der Bericht angemessen vermitteln.
  4. Nicht-Behandlung thematisieren
    Nicht-Behandlung kann manchmal eine wichtige Option sein. Was sind die Folgen, wenn ich mich nicht behandeln lasse? Dies zu betrachten, ist bei diagnostischen und vorbeugenden Maßnahmen besonders wichtig.
  5. Qualität der Evidenz berücksichtigen
    Oftmals werden in Studien nur so genannte Surrogat-Endpunkte (Ersatzkriterien) untersucht und als Ergebnis präsentiert. Es kommt aber nicht darauf an, Blutwerte oder andere Laborwerte zu verbessern, sondern die Lebensqualität von Kranken zu steigern, bedrohliche Folgen der Erkrankung möglichst abzuwenden und das Risiko zu senken, an der jeweiligen Erkrankung zu sterben. Die Qualität der Studien sollte in der Berichterstattung berücksichtigt werden. Wurden zum Beispiel nur wenige Patienten einbezogen oder die Wirksamkeit nicht mit der besten bereits bekannten Therapie verglichen, sind die Ergebnisse wenig vertrauenswürdig.
  6. Versprechungen hinterfragen
    Für neue Therapien oder Präparate wird meist mehr Lebensqualität und höhere Lebenserwartung versprochen. Ob ein neues Medikament tatsächlich besser ist als bereits auf dem Markt befindliche Alternativen und ob man das überhaupt weiß, sollte im Bericht Thema sein. Manchmal ist etwas angeblich Neues schlicht keinen Bericht wert.
  7. Kosten beziffern
    Die Kosten einer neuen Behandlung – auch im Vergleich zu bekannten Therapien – müssen beziffert werden. Ob sie von den Krankenkassen erstattet werden, gehört ebenfalls dazu.
  8. Verfügbarkeit thematisieren
    Oft ist eine neue Therapie noch im Versuchsstadium, also zum Beispiel erst in der klinischen Prüfung. Dann ist über den erhofften Nutzen zurückhaltend zu berichten, weil es noch keine gesicherten Erkenntnisse über das Nutzen-Schaden-Verhältnis gibt.
  9. Medikalisierung nicht anheizen
    Journalistinnen und Journalisten sollten sich nicht am Erfinden neuer Krankheiten beteiligen. Die Tendenz, alltägliche Verhaltensweisen, Befindlichkeiten oder Zustände (z.B.  Schüchternheit, Haarausfall, Regel, Altern) als behandlungsbedürftige Krankheit darzustellen, sollten sie nicht unterstützen. Wer Häufigkeit oder Schwere von Krankheiten übertrieben darstellt, schürt unnötige Ängste.
  10. Interessenlage von Informanten, Quellen ansprechen
    Pressemitteilungen von Unternehmen (oder deren Agenturen) stellen keine brauchbare Quelle für einen Bericht dar. Gesundheitsthemen sind komplex, deshalb sollten Journalistinnen und Journalisten immer mehrere Quellen heranziehen. Es empfiehlt sich, vor allem unabhängige Wissenschaftler zu befragen. Bei jeder verwendeten Quelle ist auf Interessenkonflikte zu achten. Es ist nachgewiesen, dass kommerzielle Interessen die Darstellung von Nutzen und Schaden einer Behandlung beeinflussen. Interessenkonflikte sind zu benennen.

Diese Liste beruht auf Kriterien für guten Medizinjournalismus der US-amerikanischen Association of Health Care Journalists1 und den Erfahrungen der Herausgeber der unabhängigen Gesundheitszeitschrift „Gute Pillen – Schlechte Pillen“. Anhand solcher Kriterien lassen sich Artikel zu Gesundheitsthemen systematisch bewerten. 2 Übersetzung und Bearbeitung: Jörg Schaaber
1 Schwitzer G. A Statement of Principles for Health Care Journalists. Am J Bioethics 2004; 4, p W9-W13
2 Schwitzer G. How Do US Journalists Cover Treatments, Tests, Products, and Procedures? An Evaluation of 500 Stories. PLoS Med 2008; 5, p e95

 

Quelle: Kathrin E.

Übersetzt und bearbeitet wurde diese Liste vom Chefredakteur des „Pharma-Brief“, Jörg Schaaber. Seit 2008 ist er Präsident der International Society of Drug Bulletins (ISDB). Der Entwicklungssoziologe und Gesundheitswissenschaftler ist Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und Mitbegründer des globalen Netzwerks Health Action International (HAI). Viele Jahre war er im Europa-Vorstand von HAI. Jörg Schaaber veröffentlichte zahlreiche Artikel zur internationalen Gesundheitspolitik, zur Manipulation bei Arzneimittelstudien und zur Medikamentenvermarktung.

2006 wurde die pharmakritische Arznei- und Gesundheitszeitschrift „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ als Gemeinschaftsprojekt drei unabhängiger, deutscher Arzneimittelzeitschriften – „DER ARZNEIMITTELBRIEF“, „arznei-telegramm“, „Pharma-Brief“ – gegründet, 2008 kam noch die „Arzneiverordnung in der Praxis“ (AVP) hinzu.

Wie „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ verzichten alle diese Zeitschriften seit Beginn auf Einnahmen aus Anzeigen, um sich der industriellen Beeinflussung zu entziehen. Die Gemeinnützige Gesellschaft für unabhängige Gesundheitsinformation mbH in Berlin ist der Herausgeber von „Gute Pillen – Schlechte Pillen“. Die Publikation erscheint seit 2006 zweimonatlich im Westkreuz Verlag und positioniert sich als Gegenpol zu den Veröffentlichungen der Pharmaindustrie. Auf der Webseite www.gutepillen-schlechtepillen.de werden Infos über aktuelle Warnungen vor Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln sowie gesundheitspolitischen Entwicklungen im Pharmabereich veröffentlicht. Die Hauptanliegen der „Gute Pillen – Schlechte Pillen“ – Redakteure sind: Hohe Arzneimittelsicherheit, angemessene Arzneimittelpreise sowie neutrale Bewertung von Nutzen, Risiken und Kosten von Arzneimitteln und Behandlungsmethoden.