Cover des Bandes Special Interest aus der Gelben Reihe Journalistische Praxis

„Religion ist zum Politikum geworden“

 

Aaron Buck, Pressereferent der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
Quelle: privat

Anja Stumpf und Esther Grunert sprachen mit Aaron Buck, dem Pressereferenten der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands, der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, über die Abgrenzung von Journalismus und PR, den Hype um Social Media und das oft verkrampfte Verhältnis von Juden und Nicht-Juden in Deutschland.

 

Welche Aufgaben hat eigentlich ein Pressereferent der zweitgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands und gleichzeitig auch noch Sprecher von Charlotte Knobloch, die sicher auch durch ihre ehemalige Funktion als Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland jede Menge Anfragen erhält?

Aaron Buck: Die erhält sie in der Tat. Charlotte Knobloch ist sicherlich eine der wichtigsten Vertreterinnen jüdischen Lebens in Deutschland und gleichzeitig eine Zeitzeugin der jüngsten deutschen Vergangenheit. Insofern ist eine der wichtigsten jüdischen Persönlichkeiten der Gegenwart. Die Arbeit für so eine Persönlichkeit ist natürlich etwas Besonderes und auch eine schöne Verantwortung, der ich gerne versuche gerecht zu werden. Es geht zentral darum, ihr Anliegen, die Bewahrung und Weiterentwicklung der Erinnerungskultur, die wir in diesem Land pflegen, zu stärken. Hier versuche ich, sie so gut ich kann zu unterstützen. Diesem Lebensthema von Frau Knobloch gerecht zu werden, ist der eine Schwerpunkt meiner Tätigkeit. Der andere – und untrennbar damit verbunden – ist die Arbeit für die jüdische Gemeinde in München beziehungsweise für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland als ganze. Hier ist es wichtig, öffentliche und mediale Aufmerksamkeit für die Themen zu generieren, die für die jüdische Gemeinschaft von Bedeutung sind – diese Themen in den Köpfen der Menschen präsent zu machen, für Interesse zu werben und auch für Verständnis.
Ich sehe mich nach wie vor sehr stark als Journalist und nicht als klassischen PR-Schaffenden. Ich will nichts verkaufen. Ich möchte nichts anders darstellen als es ist, kein Branding oder ähnliches schaffen. Ich möchte die Interessen und Sorgen, aber auch die Freude und Hoffnung, die in der jüdischen Gemeinschaft vorhanden sind, der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen, zum Teil auch erst mal überhaupt bekannt zu machen. Wir sind eine Minderheit. Manche Menschen wissen gar nichts über das deutsche Judentum der Gegenwart und welche Probleme und Sorgen uns beschäftigen.

Ihr Internet-Auftritt hat ziemlich starken Nachrichtencharakter. Liegt das in Ihrem Anspruch begründet, dass Sie auch allgemein informieren wollen? Sie bieten aktuelle Nachrichten aus den großen deutschen Zeitungen. Nach welchen Kriterien wählen Sie diese Nachrichten aus und wer ist die Zielgruppe Ihres Internetauftritts – die Gemeinde oder eher die interessierte Öffentlichkeit?

Aaron Buck: Beide. Die Internetseite dient natürlich auch der Information der Mitglieder. Die aktuellen Nachrichten wähle ich danach aus, was für Mitglieder, für die jüdische Gemeinde interessant sein könnte. Die ausgewählten Nachrichten haben alle im weitesten Sinne Bezug zum Judentum. Deshalb ist diese Nachrichtenauswahl quasi eine mediale Dienstleitung für unsere Mitglieder. Parallel dazu ist dieser Überblick ein Art Gradmesser, er zeigt womit beschäftigen wir uns, was beschäftigt uns.
Dann bietet unser Portal natürlich eine Basisinformation über das Judentum, die gewissermaßen statisch ist. Diese richtet sich in erster Linie an Nichtmitglieder. Was ist Judentum, welche Feiertage gibt es, etc. Diese Infos bleiben unverändert, die hätte man vor zweitausend Jahren schon so schreiben können. Die aktuellen Nachrichten sollen auch Bewegung auf die Homepage bringen, sollen zeigen, was beschäftigt Juden in Deutschland heute, was macht uns Sorgen. So hatten wir zum Beispiel Meldungen zum Iran, zur NSU, Grass, u.ä.. Das sind Themen, deren aktuelle Entwicklungen ich auf der Internetseite präsentiere.

Welchen Stellenwert haben Social Media in Ihrer Funktion als Pressesprecher der IKG?

Aaron Buck: Natürlich finde ich es richtig, medialen Kommunikationstrends in gewisser Weise auch Folge zu leisten, allerdings halte ich Twitter, Facebook und Co. für mein Berufsfeld ein Stück weit für überschätzt, mit Sicherheit zu großen Teilen gehypt. Als ich noch Zeitungsjournalist war, hat mich das sehr gestört. Ich habe das Gefühl, dass insbesondere der Printjournalismus seine eigenen Werte verrät und seine Kernkompetenzen leichtfertig über Bord wirft, indem man versucht, den Netz-Anforderungen immer schneller, immer kürzer, immer prägnanter standzuhalten – Hauptsache man ist da dabei und hat heute schon getwittert. Mir wäre es lieber, die Qualitätsmedien würden sich auf ihre alten Vorsätze und Grundsätze besinnen und manch neue Entwicklung erst mal laufen lassen. Der Branche schadet es meines Erachtens. Dem Printbereich schadet es definitiv. Für eine Institution und deren PR kann es natürlich schon sinnvoll sein, auf allen Kanälen präsent zu sein – wenn man die Möglichkeiten hat! Mein schlechtes Gewissen ist allerdings nicht besonders groß, wenn ich mangels Zeit und Ressourcen nicht stündlich oder täglich irgendeinen flow auf der Facebook-Seite der Israelitischen Kultusgemeinde habe.

Ein viel zitiertes Argument für die Präsenz in Sozialen Netzwerken ist ja immer wieder, dass man vor allem Jugendliche nur noch so effektiv erreichen kann?

Aaron Buck: Ich würde mal wagen zu behaupten, dass mehr oder minder jede Religionsgemeinschaft in Deutschland Nachwuchsprobleme hat, vielleicht noch mit Ausnahme des Islam. Man hat einfach in einer westlichen Industriegesellschaft Probleme, Jugendliche in so etwas vermeintlich Dröges und Konservatives wie Religion und Glauben zu verwurzeln. Dafür ist heute das Freizeit- und Unterhaltungsangebot einfach zu groß, als dass man Jugendliche in Massen für das Engagement in einer Glaubensgemeinschaft begeistern könnte. Deshalb haben die Religionsgemeinschaften, auch die großen Kirchen in Deutschland, Nachwuchssorgen. Da muss man sich natürlich überlegen, mit welchen Mitteln und Wegen man an die Jugendlichen rankommt. Klar spielt das Internet, spielen soziale Netzwerke hier eine Rolle. Viel wichtiger aber finde ich in diesem Zusammenhang, dass die Religionsgemeinschaften den Jugendlichen dann auch wirklich substanziell etwas anbieten müssen. Sie müssen real, analog den jungen Menschen etwas bieten können. Das kann man dann im Netz kommunizieren, aber entscheidend ist das Angebot als solches. Das ist bei uns in erster Linie Aufgabe des Jugendzentrums. Entweder hat so eine Einrichtung ein attraktives Programm, was Jugendliche anspricht, was sie motiviert, ihre Freizeit hier in der Gemeinde bzw. mit dem Jugendzentrum unterwegs zu verbringen oder eben nicht. Das Jugendzentrum wiederum muss dann natürlich medienpädagogisch arbeiten, das Internet und Soziale Netzwerke nutzen. Natürlich laufen Einladungen für Veranstaltungen für die Jugendlichen über Facebook, dies organisieren aber die Mitarbeiter des Jugendzentrums. Ob sich die Jugendlichen jetzt für Religion oder nicht begeistern hängt sicher nicht von der Aktualität der Facebook-Seite der IKG ab. Das Ausschlaggebende ist: Finden die jungen Leute hier in der Gemeinde, im Jugendzentrum was sie erwarten. Dieses Angebot findet dann zum Glück immer noch analog statt. Wenn das Angebot stimmt, ist die Verkaufe zweitrangig.

Sie haben schon von Ihrem journalistischen Anspruch gesprochen, vielleicht können Sie uns etwas über Ihre Ausbildung erzählen bzw. wie Sie zu dieser Position gekommen sind?

Aaron Buck: Ich bin gelernter Journalist. Ich habe Jura und Kommunikationswissenschaft studiert und dann ein Redaktionsvolontariat gemacht. Dann bin ich als Redakteur übernommen worden, im Wirtschaftsbereich – also ganz was anderes, als ich heute mache. Über Zufälle bin ich dann hierher gekommen. Ich bin diesem Ruf allerdings sehr gerne gefolgt. In der Verwaltung der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern spielt die Konfession als Einstellungskriterium keine Rolle, auch meine Vorgänger/-innen waren meist nicht jüdisch. Das ist vielleicht anders als bei anderen religiösen Institutionen. Die Konfession wird auch im Bewerbungsverfahren nicht abgefragt. In meinem Fall ist es nun mal so, dass ich Jude bin. Deswegen ist der Job gewissermaßen für mich auch eine Herzensangelegenheit. Das ist manchmal gut und manchmal schlecht. So ärgere ich mich natürlich umso mehr, wenn ich mit einem Thema nicht so durchkomme, wenn eine Pressemitteilung völlig versumpft. Das ist schon schwierig, wenn man mit dem Herzen dabei ist. Zumal ich eigentlich sehr stark von meiner journalistischen Ausbildung geprägt bin, das heißt, dass ich Neutralität, weitestgehende Objektivität für einen wünschenswerten Soll-Zustand halte. Dies ist auch, glaube ich, wenn man PR macht, gar nicht schlecht. Ich muss nicht Raucher sein, um für einen Tabakkonzern PR zu machen. Aber ich bin nun mal Jude und ich vertrete die jüdischen Interessen medial. Da kann es manchmal schon schmerzhaft sein, wenn man merkt, man wird nicht verstanden, man dringt nicht zu den Leuten durch. Manchmal ist es dann auch schwierig, weil man die Arbeit mit nach Hause nimmt.

Wie groß ist die Pressestelle der IKG München?

Aaron Buck: Ich bin Einzelkämpfer.

Daniel Meier sagt im Fachbuch „Special Interest“ aus der Reihe Journalistische Praxis, Religionsjournalismus findet ressortübergreifend statt. Wie sehen Sie das, was bedeutet das für eine Institution wie die IKG München und Oberbayern? Ist es schwierig, das Thema Judentum bei den Redaktionen unterzubringen, wie stark hängt das Interesse von aktuellen politischen Gegebenheiten ab?

Aaron Buck: Grundsätzlich würde ich das genau so unterstreichen. Wir haben einen großen Kulturbereich, das ist natürlich für das Feuilleton interessant, wenn wir jüdische Literaten zu Gast haben, ein Konzert oder eine Ausstellung veranstalten, etc. Gleichzeitig sind da die altbekannten, in letzter Zeit wieder viel zitierten christlich-jüdischen Werte, auf denen unsere Verfassung und unser abendländisches Wertesystem beruhen. Deswegen sind wir auch ein gesamtgesellschaftliches Thema wenn wir Angst um eben diese Werte haben und wenn wir Entwicklungen ansprechen, die eben diesen Werten widersprechen. Oft geht es um aktuelle politische Themen.
Auch für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ist natürlich Israel ein großes Thema. Es ist gleichzeitig ein problematisches Feld, weil es eine Zwickmühle ist, den Menschen auf der einen Seite klarzumachen dass die Juden in der Diaspora eben nicht der Staat Israel sind. Es ist schon auffällig und auch problematisch, dass gerade auch hier in Deutschland viele Menschen nicht zwischen Juden und Israelis differenzieren. Erschreckend vielen ist auch nicht bewusst, dass Juden schon seit 1700 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands leben und ein fester Bestandteil der deutschen Kultur sind. Für viele Menschen sind Juden gleich Holocaust. Manchmal wird man sogar in dieses Integrationsthema reingeschoben, so nach dem Motto „Sie sprechen aber gut deutsch“.

Sehen Sie es als Pressesprecher der IKG München und Oberbayern als Ihre Aufgabe gegen diese Stereotypen anzukämpfen?

Aaron Buck: Ich sehe das als meine Aufgaben, allzu oft ist das auch ein Kampf gegen Windmühlen, insbesondere was die Differenzierung Juden in der Diaspora und der Staat Israel betrifft. Denn es ist ein schmaler Grat: Einerseits solidarisieren wir uns sehr stark mit Israel. Die Juden in der Diaspora haben sich von jeher als Brückenbauer zwischen Israel und den Menschen ihren Heimatländern verstanden. Auf der anderen Seite gilt es immer wieder zu verdeutlichen, dass wir nicht Israel sind, dass wir deutsche Juden sind und zu Deutschland gehören und zwar zumeist seit Generationen.
Das ist für Außenstehende nicht immer leicht zu verstehen. Aber ich lasse mir mit Blick auf Israel den Vorwurf nicht gefallen: „Was macht Ihr denn da drüben?“. Diese Fragestellung möchte ich nicht akzeptieren. Erstens weil die Juden in Deutschland nicht Israel sind. Und zweitens, weil viele Vorwürfe unsachlich und oberflächlich sind. Deswegen weise ich öffentliche Attacken gegen Israel zurück. Für viele ist das unverständlich. Ich bin der festen Überzeugung, dass Dreh- und Angelpunkt der verkorksten Art und Weise, in der Israel in Deutschland öffentlich debattiert wird, unsere eigene deutsche Geschichte ist. Der Holocaust hat zwangsläufig das Verhältnis von jüdischen und nicht-jüdischen Deutschen nachhaltig beschädigt. Diese Schädigung wieder in den Griff zu kriegen, dieses Verhältnis zu normalisieren, den gegenseitigen Umgang zu normalisieren, ist zentrale Aufgabe meiner Arbeit.

Eine zentrale Aufgabe für Sie als Pressereferent, denn die Medien prägen schließlich entscheidend unser Bild vom Judentum in Deutschland?

Aaron Buck: Ich hab manchmal das Gefühl, dass da einiges schon sehr eingefroren ist. Ich mache zum Beispiel ganz oft die Erfahrung wenn es zum Beispiel um Patriotismus geht, gerade jetzt bei der Fußball-EM. Weite Teile der jüdischen Gemeinschaft, insbesondere auch Frau Knobloch, setzen sich seit Jahren für einen gesunden, aufgeklärten Patriotismus ein. Sie besucht unermüdlich Schulen und wirbt gerade bei jungen Menschen sehr dafür, stolz auf dieses Land, weil sie der festen Überzeugung ist, dass nur wenn man stolz auf seine Werte und Errungenschaften ist, also Patriot im positiven Sinne ist, nur dann ist man auch bereit, diese Werte gegen antidemokratische Kräfte zu verteidigen. Sie setzt sich dafür ein, dieses Land in seiner jetzigen Form, mit der Entwicklung der letzten sechzig Jahre zu lieben und sich für dieses Land stark zu machen. Trotz dieser klaren und eindeutigen Haltung ist es schwierig, aus den Köpfen vieler Multiplikatoren rauszukriegen: „Wir dürfen aufgrund der Geschichte ja nicht stolz sein“ – was völliger Blödsinn ist.
Ein anderes Beispiel: Ich kann manche Dinge noch so positiv formulieren, am nächsten Tag muss ich doch wieder lesen „Charlotte Knobloch ist empört“ oder „mahnt“ oder sonst irgendwas zeigefingermäßiges, obwohl die Pressemitteilung überhaupt nicht in diesem Tenor formuliert worden ist. Diese Grundhaltung ist schwer aus manchen Journalisten rauszukriegen. Hinzukommen provozierte Empörungsmechanismen, wenn man bei aktuellen rechtsextremen oder antisemitischen Vorfällen ein Statement abgeben soll. Es ist nicht Aufgabe der jüdischen Gemeinde, sich angesichts solcher Sachverhalte zu Wort zu melden. Jeder Demokrat muss bei entsprechenden Fällen empört und betroffen sein. Am nächsten Tag ist das Ganze genau so in den Medien, man wird als moralische Instanz präsentiert obwohl wir diese Rolle gar nicht wollen. Wir begreifen uns mitnichten als moralische Instanz. Die demokratische Gesellschaft ist verantwortungsbewusst und urteilskräftig bewusst. Sie braucht keine wie auch immer gearteten moralischen Instanzen.
Manchmal wird man in eine Rolle gedrängt, die nicht sachdienlich ist. Wir kommen bald an den historischen Zeitpunkt, wo es keine Opfer und keine Täter mehr geben wird, insofern müssen auch Begrifflichkeiten wie Schuld oder Schande verschwinden. Im gesellschaftlichen Diskurs muss es um Verantwortung gehen. Die Gesellschaft selbst ist verantwortlich, ihre Missstände anzusprechen und dagegen anzugehen. Aber aus irgendwelchen Gründen können bestimmte Denkmechanismus nur sehr langsam überwunden werden. Bestimmte Reflexe, zu bestimmten Anlässen die jüdische Gemeinde anzurufen, sind nach wie vor da.

Sind Sie in Ihrer Rolle als Pressesprecher der IKG München und Oberbayern also quasi oft eine Art Mädchen für alles, ein Ansprechpartner fürs Konfliktbeladene, sei es der Nahostkonflikt, sei es Rechtsextremismus etc. ?

Aaron Buck: All das. Wenn es da irgendwelche aktuellen Anlässe gibt, ist man Ansprechpartner, zum Teil auch sehr gerne, dafür bin ich ja da. Zum Teil würde ich mir dann aber die Berichterstattung anders wünschen. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Berichterstattung immer das gesellschaftliche Miteinander fördert. Es ist oft eher so, dass Unterschiede künstlich aufrecht erhalten werden. Es passiert sicherlich nicht absichtlich, aber in der Wirkung läuft es darauf hinaus, dass das Nebeneinander konserviert wird und das wünschenswerte Miteinander nicht richtig zum Ausdruck kommt.

Binden Sie Ihre Pressearbeit in die von Dachorganisationen wie zum Beispiel in des Landesverbands der Israelischen Kultusgemeinden in Bayern oder des Zentralrats der Juden ein um gerade in solchen Fragen eine andere Breitenwirkung zu erzielen?

Aaron Buck: Ich bin autonom, aber man versucht natürlich mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Organisationen zusammenzuarbeiten. Letzen Endes beantworten wir alle die Anfragen so, wie sie kommen.

Daniel Meier sagt in dem Fachbuch Special Interest, dass das Thema Religion in den letzten Jahren in säkularen Medien an Bedeutung gewinnt. Ist das auch Ihre Meinung?

Aaron Buck: Ob die Bedeutung steigt weiß ich nicht. Ich würde mir wünschen, dass er Recht hat. Falls er Recht hat, bin ich aber auch ein bisschen Pessimist und sage, das hängt zum Teil auch mit dem 11. September zusammen. Ich empfinde es schon so, dass Religion im Zuge des 11. September wieder eher einen trennenden Charakter bekommen hat. Über das Thema Islamismus, religiöse Ideologien und Terror hat Religion eine ganz andere Präsenz in den Medien bekommen. Auch jetzt, die Wahrnehmung von religiösem Fundamentalismus, oder auch die Sarrazin-Debatte hätten meines Erachtens vor dem 11. September so nicht stattgefunden. Auch die ganze Integrationsdebatte, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben, hätte es vermutlich in dieser Schärfe nicht gegeben. Das Thema Religion ist in der säkularen Presse vermutlich so präsent, weil es so politisch geworden ist. Insofern ist Religion zum Politikum geworden, aber leider im negativen, im trennenden Sinne. Religion ist zum Faktor geworden, der uns unterscheidet und uns trennt. Dadurch sind auch neue Fronten aufgebaut worden. Der Journalismus kann vermutlich gar nicht anders, als im dauerhaften Kampf um Aufmerksamkeit und Auflagen plastisch und drastisch zu sein. Es wird verkürzt, und vieles ist dann nur noch schwarz-weiß. Das alles nützt dem Thema Religion nicht unbedingt. Man muss schauen wie sich das entwickelt. Das Ziel meiner Arbeit als Pressereferent für die Münchner Jüdische Gemeinde ist es, weniger die eigenen Interessen durchzuboxen, deswegen ist die Arbeit hier für mich weniger PR im klassischen Sinne. Ich möchte ja nichts verkaufen, insofern will ich ja auch meine Religion nicht verkaufen. Ich will auch nicht missionieren, was das Judentum ja per se nicht tut. Ich will informieren und Verständnis erzeugen.
Mir geht es um Verständnis und um Empathie. Einfach klar zu machen, was uns wichtig ist. Warum werde ich angerufen? Ein paar typische Beispiele der letzen Wochen: Ich werde angerufen wenn ein Pirat ein NS-Vergleich macht, wegen des Urteils zur Beschneidung, wenn Günther Grass ein Gedicht zu Israel schreibt oder wenn Israel droht den Iran anzugreifen. Dann geht es darum, den Menschen unsere Gefühlswelt nahe zu bringen. Die Gefühlswelt ist leider oft völlig aus den Köpfen der Menschen verschwunden. Das jüdisch-nicht jüdische Verhältnis ist meiner Meinung nach in Deutschland noch ziemlich verklemmt und weit von jeder Normalität entfernt. Ich würde mir einen offeneren, einen schonungsloseren gemeinsamen Dialog wünschen. Mir geht es in meiner Arbeit darum, klar zu stellen: Warum uns Holocaust-Vergleiche verletzen, warum Israel-Bashing für uns unerträglich ist, warum wir eben nicht sagen können, nun lass doch mal gut sein. Mir geht es darum, für Empathie zu werben. Der Schmerz und der Verlust den der Holocaust in jeder deutschen jüdischen Familie ausgelöst hat, ist nach wie vor da – auch in den Folgegenerationen, weil die deutschen Juden auf einem Friedhof geboren werden. Für diese Sensibilität fehlt vielen nicht-jüdischen Menschen die Empathie, darum verstehen sie manche Reaktionen nicht.
Dafür versuche ich Verständnis zu wecken, das ist der eine Punkt und auf der anderen Seite versuche ich Empathie für Israel zu schaffen. Auch das Israel-Bild ist in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung mehr von der eigenen Geschichte geprägt als von der aktuellen politischen Realität. Die Art und Weise, wie Israel wahrgenommen und kommentiert wird, hat mehr mit der deutschen Vergangenheit zu tun als mit der israelischen Politik. Auch hier würde ich mir einen offeneren Dialog wünschen. Warum beschäftigen wir uns so intensiv mit Israel, warum ist die israelische Politik so stark in der deutschen Presse präsent?
Als jemand, der für die Öffentlichkeitsarbeit einer großen deutschen jüdischen Gemeinde arbeitet, stellt sich die Frage warum ist das so und wie können wir das beheben. Hier ist die Antwort: Dialog, Dialog, Dialog und der kommt mir leider oft zu kurz.

Veranstalten Sie auch Pressegespräche oder Informationsveranstaltungen zu dieser Thematik?

Aaron Buck: Das kann ich mir gut für die Zukunft vorstellen. Allerdings ist es dann ja oft so dass nur die üblichen Verdächtigen kommen. Was wir brauchen ist ein gesamtgesellschaftlicher Dialog. Die deutsche Gesellschaft ist urteilsstark und geschichtsbewusst genug um diesen zu führen. Das kann und muss eine jüdische Gemeinde gar nicht leisten.

Herr Buck, wir danken für dieses Gespräch.