Cover des Bandes Special Interest aus der Gelben Reihe Journalistische Praxis

Sieben Fragen an Christiane Arp, Chefredakteurin der „VOGUE Deutschland“

 

Christiane Arp, Chefredakteurin „VOGUE Deutschland“
Quelle: Matthias Ziegler

Welche Anforderungen stellt das gesamte Berufsbild Modejournalismus an den Nachwuchs?

Christiane Arp: So viel wie möglich wissen! Wir Modejournalisten müssen viel mehr Allrounder als die meisten unserer Kollegen sein. Eben, weil wir oft so angegriffen werden, uns nur mit Oberflächlichem auseinanderzusetzen. Als Modekritiker und Modejournalist muss man sich für alles interessieren, weil die Entwürfe der Modedesigner von allen Dingen des Lebens, die auf sie einströmen, beeinflusst werden. Es glaubt ja jeder gestandene Journalist, der nicht Modejournalist ist, dass er sich an den Laufsteg setzt und Kollektionen beurteilen kann. Aber Modejournalisten mit einem fundierten Wissen erkennen die Referenzen des Designers schon während sie am Laufsteg sitzen, hören die Musik dazu und ordnen alles in ein Gesamtbild ein. Eine Instanz wie etwa die große Modekritikerin Suzy Menkes kann das par excellence. Und es geht dabei nicht nur um Modegeschichte, auch um Kostümgeschichte, um Kunstgeschichte, die man einordnen und herauslesen muss. Ein Modejournalist mag also fachgebunden sein, aber er muss General Interest denken – denn alles kann Teil einer Geschichte werden. Und am Ende geht es um die fundierte Filterung.

Da Sie schon Suzy Menkes ansprachen: Warum findet in der VOGUE keine verbale Modekritik statt?

Christiane Arp: In einem Magazin, das drei Monate nach dem Gesehenen erscheint, wäre Kritik zu spät und nicht mehr relevant. Aber eine Einordnung findet ja trotzdem statt: Was Sie bei uns im Heft nicht sehen, mögen wir nicht.

Wie entkräften Sie den obligatorischen Vorwurf an die Modejournaille, zu viel PR zu machen?

Christiane Arp: Wie schon gesagt: Was uns gefällt, kommt ins Heft. Ist es eine gute Handtasche, gehört sie in die VOGUE. Ist es keine gute Handtasche, kommt sie nicht in die VOGUE. Das sehe ich in den übrigen Kulturkritiken übrigens genauso: Wird ein Film gut besprochen, ist das auch PR. Es geht im Übrigen um respektvollen, reflektierenden Modejournalismus, nicht nur um Kritik allein; also nur zu sagen, die Kollektion sei nicht gut – sondern zu erklären, warum. Ich beschäftige mich jetzt seit fast 30 Jahren mit Mode. Damals waren die heutigen Superstars noch Assistenten. Man ist zusammen gewachsen und begegnet sich auf Augenhöhe. Die Designer, unsere Kunden, sind nicht unsere Feinde, sondern unsere Partner. Wir fördern darum auch den Nachwuchs. Und ein Wort zu den seitenlangen Anzeigenstrecken vorne im Heft: Sie sind Teil des visuellen Gesamtkunstwerks, eine Einstimmung in die Welt, die wir im Heft gestalten. Die journalistische Freiheit und das Können der Moderedaktion, aus diesen Kollektionen die Shootings selber zu gestalten, kommt bei den Editorials zum Tragen. Und es gibt auch die Aufgabe, Mode als Kunstform darzustellen, etwa bei Haute Couture. Und Kollektionen vorzustellen, die trendübergreifend beeinflussend sind.

Wie sehr wird die digitale Welt in zehn Jahren unseren Job verändert haben? Glauben Sie an das Printmedium Modemagazin?

Christiane Arp: Ich glaube an das Medium Print – weil ich an das haptische Erleben glaube. Das heißt aber nicht, dass ich gegen das Digitale bin, im Gegenteil. Ich sehe beide Medien additiv.  Ich vergleiche Online und Print gern mit dem Kaminfeuer, vor dem Sie sitzen und die Wärme spüren oder aber auf einen Bildschirm schauen, auf dem das Kaminfeuer nur abgebildet ist. Dann ist es der optische Genuss, aber nicht das haptische und emotionale Erleben. Ich glaube, dass alle Medienmacher heute noch mehr gefordert sind, weil die Leser, auch durch das Internet, mehr kennen und wissen. Wünschenswert wäre aber, dass im Netz reflektierter agiert wird. Die komplett subjektive Beurteilung manifestiert sich schnell. Das ist das Fatale: Weil Kommunikation so schnell ist, passiert es leichter, dass sich Informationen festsetzen, die nicht seriös dokumentiert und oft fachlich falsch sind. Bei Zeitschriften wie unserer wird diskutiert, jede Seite noch mal und noch mal gegengelesen. Diese Form von Qualitätskontrolle ist online zu selten.
Ich wünsche mir, dass die Qualität des Onlinejournalismus – und auch die der Mode-Blogs – besser und besser wird. Was im Übrigen auch für Print gilt. Wir müssen festhalten an Qualitätsjournalismus – egal, wo der stattfindet.

Sie glauben also daran, dass Online und Print miteinander korrespondieren, statt dass ein neues Medium ein anderes abschafft?

Christiane Arp: Absolut. Ein permanenter Austausch der Mediengattungen. Das Internet ist der schnelle Service für die Leser, wo jede Nachricht sofort gepostet wird, und Print ist einordnend, unterhaltend, entschleunigend und ein haptisches Erleben. So schreiben Print-Redakteure auch für unsere eigenen Blogs. Auch wer einen Blog hat, sollte journalistisch in der ersten Reihe sitzen.

Wird die Modefotografie verlieren zugunsten des editorialen Mode-Films?

Christiane Arp: Ich glaube, dass die Fotografie die einzige Kunstform ist, die im Idealfall den besonderen, den perfekten Moment festhalten kann. Das kann der Film so nicht. Die Intensität, dieses Momentum – das kann nur die Fotografie leisten. Aber unsere Modefotografen machen immer häufiger auch kleine Mood-Movies zu den Bildstrecken als Heranführung an den ästhetischen Genuss der Modegeschichte im Bild. Auch hier wird also beides nebeneinander agieren.

Was raten Sie dem modejournalistischen Nachwuchs?

Christiane Arp: Generell glaube ich wie anfangs gesagt, dass es wichtiger denn je ist, überall hinzugucken, sich für alles zu interessieren. Junge Menschen, die mit größter Leidenschaft arbeiten, unseren Job erleben wie ein Lebenselixier, die werden auch weiterkommen. Geschmack bildet sich, Leidenschaft muss da sein.
Speziell für angehende Modejournalisten gilt: Der schnöde Mammon ist verführerisch. Man stellt sich den großen Glamour bei uns vor, den wir ja auch transportieren. Aber wenn wir an den Produktionen unserer Strecken arbeiten, tragen wir keine High Heels, kein Make-up und keine Designer-Outfits. Da geht es nicht um uns, sondern um das, was wir schaffen.
Ein Beispiel: Bei einer meiner ersten Produktionsreisen, auf die ich mit durfte – damals für ein Strickheft – ging die Reise nach Gran Canaria. Wir hatten empfindliche Leinenröcke dabei, und ich war verantwortlich für die Outfits. Nachts um vier bin ich aufgestanden und habe gebügelt und gebügelt und zusammengestellt. Am nächsten Morgen war die Chefin überrascht, wie akkurat alles war – von dem Moment an durfte ich zu jeder Reise mit. Das wusste ich nachts um vier beim Stecken noch nicht, da wusste ich nur, die Röcke müssen morgen früh in tadellosem Zustand sein. Was ich sagen will: Der rote Teppich ist nicht unsere Pflicht. Wir sind in erster Linie Profis mit einer fundierten Ausbildung. Und davon wünsche ich mir mehr.