Cover des Bandes Special Interest aus der Gelben Reihe Journalistische Praxis

Marcela Ullmann kennt die Gratwanderung zwischen Fachjournalismus und -PR.  Foto: CW

Wenn man für etwas brennt, kommt es gut an

Fachjournalismus und Public Relations stehen in einem Spannungsfeld. Während Unabhängigkeit oberstes journalistisches Gebot ist, folgt die PR-Arbeit spezifischen Interessen. Marcela Ullmann betreut seit 20 Jahren als Chefredakteurin die Ärztezeitschrift naturamed und die Patientenzeitschrift naturmedizin. Im Interview mit Christine Wawra gibt die promovierte Philosophin Tipps für die Gratwanderung.

Ist guter Fachjournalismus die Basis für gute PR?

Gute Kenntnis des eigenen Fachs ist eine unbedingte Voraussetzung sowohl für Fachjournalismus als auch für PR-Arbeit. Ich würde die Beziehung von beiden im Augenblick etwas anders formulieren. Ich würde sagen: Ein guter Fachjournalist kann heute ohne PR-Arbeit wirtschaftlich nicht überleben.

Lassen sich Fachjournalismus und PR-Arbeit in einer Person verbinden, oder gibt es vor allem Unterschiede?

Ich versuche den Unterschied immer unseren Mitarbeitern, Auftraggebern oder den Verlagen, mit denen wir zu tun haben, klarzumachen. Was ist der Unterschied zwischen einem Redaktionsbüro und einer PR-Agentur? Eine PR-Agentur erfüllt Wünsche. Ein Auftraggeber kommt und möchte, dass sein Produkt, ein Arzneimittel beispielsweise, in einem bestimmten Licht erscheint. Er schafft die Unterlagen herbei und behält sich die Hoheit der Endredaktion.
Ein Redaktionsbüro ist etwas anderes: Wir recherchieren selber, unterdrücken nichts. Und wir behalten uns die Endredaktion vor. Der Auftraggeber bekommt geistige Arbeit, intellektuelle Leistung, gibt aber ein Stück Freiheit oder Selbstgefälligkeit her. Das würde ich als den wesentlichen Unterschied bezeichnen.

Was würden Sie einem jungen Journalisten raten, der im Fachjournalismus oder in der Fach-PR arbeiten möchte?

Die absolute Basis ist das Fachwissen. Wenn man im Fachjournalismus arbeiten möchte, muss man etwas gut kennen. Das bedeutet nicht unbedingt, ein abgeschlossenes Studium zu haben. Aber es bedeutet, dass man ein Fach und seine Fachbegriffe wirklich beherrschen muss. Ein Fachjournalist ist unter anderem auch der Übersetzer der Fachsprache. Wenn man die Fachsprache nicht beherrscht, kann man sich im Dschungel der Sprache verlieren. Und gleichzeitig bereitet es aber große Freude, gerade über diese Übersetzungsarbeit den Patienten oder der Laienöffentlichkeit auch ein paar Zusammenhänge aus der Sicht der Medizin zu zeigen.

Wie gehen Sie mit dem Spannungsfeld zwischen Journalismus und PR-Arbeit um?

Sie sind in jedem Falle erstens ein Botschafter eines Fachs. Es ist klar, dass Mediziner die Medizin für das wichtigste halten, dass Physiker ihre Disziplin für die Königsdisziplin halten, dass Chemiker überzeugt sind, dass sie die Welt neu erfinden. Wenn man das nicht sein kann, dann vertritt man sein Fach nicht gut. Man muss von einer Disziplin etwas wissen, man muss aber auch für die Disziplin ein wenig brennen. Je mehr desto besser, aber wenigstens ein wenig. Denn Sie sollen die Disziplin vermitteln, das geht nicht, wenn Sie sie nicht verinnerlichen.
Und das bedeutet gleichzeitig: Wenn man für etwas brennt, dann kommt es gut an. Und unter Umständen sieht man dann manches etwas positiver als die allgemeine Öffentlichkeit. Und genau da setzt eigentlich PR ein. Mein Schwerpunkt ist beispielsweise die Naturmedizin. Ich bin selbstverständlich sehr für Naturmedizin engagiert. Also, man könnte sagen, mit jedem Atemzug betreibe ich PR. In jedem Falle mit jeder Zeile. Nur bin ich nicht dafür als PR bezahlt. Ich vertrete etwas, was ich begründe, recherchiere und der breiten Öffentlichkeit oder der Fachöffentlichkeit nach Möglichkeit fundiert darstelle. Aber das ist die beste PR, die es gibt, nämlich solche, die sich nicht gezielt als PR versteht.

Welche Gefahren sehen Sie speziell für die PR-Arbeit?

Die erste Gefahr ist, dass man einseitige Recherche betreibt. Das ist im Journalismus eine Todsünde. In der PR-Arbeit wird es aber von vielen als Handwerk betrachtet. Ich sehe das nicht gerne und gehe andere Wege. Und ich kann allen jungen Kollegen sagen, gehen Sie bitte auch andere Wege. Sie werden mehr Erfolg haben damit. Denn man unterschätzt manchmal die Intelligenz, die es in Firmen gibt. Die Auftraggeber sind manchmal in ihren Erwartungen klüger und zurückhaltender, als es manche Anzeigenverkäufer großer Blätter sind. Wenn man seinen Standpunkt findet und Sachen hinterfragt – auch die, die man als Unterlagen von den Herstellern selbst oder von den Auftraggebern bekommt – leistet man in jedem Falle bessere Arbeit. Meine berufliche Erfahrung ist tatsächlich, dass man mit den Leuten sprechen kann, wenn man sachlich bleibt. Ich bin der Meinung: Selbst wenn eine Fachzeitschrift von den Anzeigen  lebt, sollte das eine gute Zeitschrift sein. Und in einer Fachzeitschrift sollten keine getürkten Daten drin stehen.
Die zweite Gefahr ist Korruption – in der Medizin vielleicht noch mehr als in anderen Fächern, weil da relativ viel Geld im System ist und weil man bestimmte Sachverhalte sehr unterschiedlich sehen kann. Sicherlich gibt es Kollegen, die sich eine bestimmte Sicht gerne bezahlen lassen. Oder Agenturen, die in dieser Art und Weise arbeiten. Wenn man das transparent macht, habe ich zuerst mal nichts dagegen zu sagen. Ich würde auf diese Art und Weise aber nicht arbeiten. Auf die Dauer bringt einfach fundierte Arbeit mehr Erfolg. Das Leben ist kein Hundertmeterlauf, sondern ein Marathon.

Können Sie ein Beispiel nennen für eine solche Einflussnahme?

Mit naturamed arbeite ich im Fachbereich, mit naturmedizin im Publikumsbereich. Für beide gelten unterschiedliche Maßstäbe. Im Publikumsbereich können Sie Sachverhalte nicht mit der Genauigkeit einer Doktorarbeit vermitteln. Da bekommt man am ehesten Ärger mit den Meinungsbildnern, also mit den Wissenschaftlern, die dann noch einschränkende Details sagen wollen. Der Leser würde aber angesichts so vieler Einschränkungen nicht mehr kapieren, worum es eigentlich geht. Die Reduktion im Laienbereich ist das größte Problem, auf der andern Seite die Einflussnahme der Wissenschaft – „wir wollen alles drin haben, denn wir wollen uns ja nicht blamieren vor den Kollegen“.
Bei der Arbeit in diesem Segment gilt es immer, der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Fischer. Das ist eine Grundregel jeder PR-Arbeit, der „positiven“ wie auch der „negativen“. Wenn man die Arbeit nicht für den Leser macht, sondern für den Auftraggeber – das ist die eigentliche Korruption. Und wenn man das nicht dem Auftraggeber klarmacht, hat man sich eigentlich im Rahmen seiner Arbeitsethik unredlich verhalten. Es muss immer klar sein, der Leser, der Endverbraucher, der User, ist der Adressat. Für ihn machen wir das, er muss das verstehen, und ihn darf man nicht überfordern. Ihn muss man dort abholen, wo er gerade ist.

Frau Dr. Ullmann, danke für das Gespräch.