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Hans-Dieter Hillmoth

Das Programm als Markenartikel

 
Letztlich gibt es keine strategischen Unterschiede: Die Margarine darf heute nicht salziger schmecken als morgen, wenn sie sich behaupten soll. Und auch beim Radioprogramm erwartet der Hörer Verlässlichkeit. Er will wissen: Welche Musik wird gespielt – und wie viel? Welche Moderatoren begleiten mich? Wie viele Informationen bekomme ich bei dem Sender – und wann? Beide Produkte müssen sich als »Marke« behaupten. Und wenn sie neu im Markt sind, dann müssen sie sich im Idealfall zu einer Marke entwickeln – unverwechselbar und wiedererkennbar werden. Normale Marketing-Strategien sind also gefragt.

Marke und Mitarbeiter. Die Marken-Philosophie eines Senders ist die Richtschnur der täglichen Arbeit dort – auch für die journalistischen Mitarbeiter. An ihr sollen sie sich orientieren, damit das Produkt Programm täglich aufs Neue umsetzt, was den Kern der Marke ausmacht. Deshalb müssen sie sie kennen und verstehen, warum sie so wichtig für den Programm-Erfolg ist.

Wie in der klassischen Werbung werden einige wenige Kern-Aussagen benutzt, um aus dem Produkt Radioprogramm ein Markenprodukt werden zu lassen, welches sich abhebt. Alle On air- und Off-air-Elemente eines Programms sollten dem Ziel dienen, die Marke zu kreieren oder zu festigen. Das sind die Aufgaben des klassischen Marketings: eine unternehmerische Konzeption, die davon ausgeht, dass sich alle Unternehmensaktivitäten zur optimalen Erfüllung der Unternehmensziele am Markt zu orientieren haben (vgl. im Econ-Buch »Radio-Journalismus« den Beitrag »Verpackungselemente«, außerdem die Online-Plus-Beiträge »Programm-Promotion« und »Dem Programm Profil geben«).

Eine Marke kann nicht über Nacht etabliert, sie muss über viele Jahre geschickt »geführt« werden. Entwickelt sich die Marke positiv, müssen Neuerungen besonders behutsam bedacht sein. Abrupte Schwenks irritieren den Konsumenten (»Schmeckt aber komisch …«).
Dies sollte jedoch nicht zur Annahme verleiten, ein akzeptiertes Radioprogramm müsse jahrzehntelang konserviert und dürfe nie verändert werden. Das Produkt muss stets frisch gehalten werden – mit neuen Programmelementen, neuen Ideen, noch zeitgemäßeren Werbeauftritten. Auch die Konkurrenten können mit Gegenstrategien die eigene Marke gefährden.

Der Wettbewerb nimmt zu. Gab es 1985, vor Einführung des Privatfunks, noch 55 Radioprogramme in Deutschland, so gab es neun Jahre nach der Jahrtausendwende schon 344 (von der MA erfasste). Allein deshalb steigt die Notwendigkeit, die Radiostation als eigene Marke aufzubauen. Durch die Satelliten- und Webradio-Angebote konkurriert jedes einzelne Programm zusätzlich noch mit mehreren hundert anderen. Und das weltweit.

»Marken-Treue« muss erreicht werden. Obwohl sich die Zahl der UKW-Stationen hierzulande mehr als versechsfacht hat, nutzt im Durchschnitt der Bürger täglich nur drei verschiedene Programme. Jede Programm-Mannschaft muss sich dennoch verstärkt bemühen, ihre Hörer im Programm zu halten. Wer einmal den Sender verlassen hat, ist nur schwer zurückzuholen.

Je älter die Hörer sind, desto weniger springen sie trendy von Programm zu Programm: »Junge, verstell mir meinen Sender nicht«, lautete schlichtweg die Anweisung an den Enkel, der dem Radio der Großmutter gerade jugendlichere Töne entlocken wollte. Die ältere Dame hatte »ihren« Sender gefunden. Dies bei den Jungen ebenfalls zu erreichen, ist ungleich schwieriger.

Gelingt es einem Sender, sich in den Köpfen seiner Hörer (und auch der Nichthörer) mit einem klaren Profil (»Stationality«) zu verankern, beim Nennen des Sender-Namens positive »Bilder im Kopf« (Images) auszulösen, dann hilft ihm dies im Bemühen, sein Zielpublikum auch künftig zu erreichen. Starke Marken müssen sich nicht vor raschen und heftigen Schwankungen in der Publikumsgunst fürchten. Hörer, die über eine starke »Marken-Bindung« verfügen, verzeihen erfahrungsgemäß programmliche Holperer und Ungeschicklichkeiten – jedenfalls vorübergehend.

Regionale Marken dominieren. Radio in Deutschland arbeitet auf Grund der föderalen Struktur lokal oder regional. Deshalb gibt es eigentlich keinen reichweitenstarken Radiosender, der sich als nationale Marke durchsetzen konnte.

Emotionale Bindung. »Marken« sind umso leichter im Bewusstsein des Mitbürgers zu verankern, je stärker der sich mit dem Produkt – in diesem Falle mit dem Radioprogramm – identifiziert. Bei der schon zitierten Margarine muss er sein mühsam erarbeitetes Geld an der Supermarkt-Kasse ausgeben, was bei Gefallen die Bindung erhöht.
Das Radio kommt hingegen quasi kostenlos ins Haus (mal abgesehen von den Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Sender). Eine emotionale Bindung wird hier eher durch Trend- und Mode-Aspekte erzeugt: Man findet es schick, diesen und keinen anderen Sender zu empfangen. »Hast Du das auch gehört?«-Effekte spielen eine Rolle und außerdem gemeinsame Erlebnisse bei Vor-Ort-Aktionen des Programms (vgl. im Econ-Buch »Radio-Journalismus« die Beiträge »Radio-Spiele« und »Radio-Aktionen«).

Auch wenn alle Regeln des Marketing eingehalten werden und eine konsequente Markenführung versucht wird: Nicht immer müssen diese Versuche auch Erfolg haben. Und auch da unterscheiden sich Margarine und Radio nicht.
 


Dies ist ein Online+ Beitrag aus dem Buch »Radio-Journalismus«.


 
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