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6. Kapitel: Die Nachrichtensprache

 

Leseprobe 1:

Das Wichtigste, die Satzaussage, nach vorn zu bringen, war lange in journalistischen Texten üblich. Damit wollte man Leser, Hörer und Zuschauer ködern und direkt mit dem Thema konfrontieren. Diese Sucht zur Inversion, zur Umdrehung von Subjekt und Objekt, ist passé. Aus gutem Grund! Denn die Absicht war zwar ehrenwert, die Konstruktion widersprach aber dem wichtigsten Grundsatz der Satzlogik: Innerhalb des Satzes oder des Sinnschrittes muss Ordnung herrschen.

Regel 5: Die Neuigkeit nach hinten

Der Verstehensprozess ist immer der gleiche. Wenn wir am Bekannten anknüpfen können und dann erst das Neue erfahren, ist die Mitteilung leichter zu entschlüsseln, als wenn es umgekehrt ist. Schon die Alltagssprache zeigt, wie man einen Satz sinnvoll aufbaut, damit er sofort verstanden wird. Wir sagen:

Onkel Otto hat sich einen großen Bungalow gekauft.

Und nicht:

Einen großen Bungalow hat sich Onkel Otto gekauft.

Zuerst wird das Thema genannt (Onkel Otto), von dem man eine Mitteilung machen will. Thema kommt aus dem Altgriechischen und heißt so viel wie das Gesetzte. Dann erst folgt die Aussage, in der Fachsprache das Rhema, griechisch das dazu Gesagte(…einen Bungalow gekauft). Diese Regel gilt nicht nur für den gesprochenen, sondern genauso für den geschriebenen Satz. Das Thema steht im so genannten Vorfeld, das Rhema im Nachfeld.

Beispiele aus dem wahren Nachrichtenleben: Friedensnobelpreis für den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo. Wie haben die Nachrichtenagenturen das Ereignis gemeldet?

Der inhaftierte chinesische Dissident Liu Xiaobo erhält den Friedensnobelpreis (afp).
Das Nobelkomitee hat den Friedensnobelpreis an Liu Xiaobo vergeben (dpa).
Der Friedensnobelpreis geht in diesem Jahr an den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo (Reuters).

Welche Eilmeldung kann der Leser am ehesten verstehen? Am besten aufgebaut ist die Meldung von Reuters. Sie knüpft an das Bekannte an (Nobelpreis), lässt aufhorchen und informiert dann über das Neue (Preisträger dieses Jahres).

Der Fußballschiedsrichter Markus Merk pfeift heute sein letztes Spiel in Oslo.

Und morgen pfeift er sein letztes Spiel in Helsinki und übermorgen sein letztes Spiel in Stockholm? Nein, das hat der Autor nicht gemeint. Die Nachricht ist, dass der Schiedsrichter heute sein letztes Spiel pfeift. Das ist der Sinnkern, und er gehört ans Ende, also:

Der Fußballschiedsrichter Markus Merk pfeift heute in Oslo sein letztes Spiel.

 

Leseprobe 2:

Das Unwort des Jahres wird von einer sprachkritischen Kommission ausgewählt. Sie will auf Begriffe aufmerksam machen, die sachlich unangemessen sind oder gegen die Humanität verstoßen. Hier einige Unwörter – mit Kommentar:
1991 durchrasste Gesellschaft: ein übler Ausrutscher Edmund Stoibers. Ein Begriff, den sonst nur Neonazis gebrauchen.
1992 aufenthaltsbeendende Maßnahmen: ein übler Euphemismus für Ausweisung von Asylbewerbern
1993 kollektiver Freizeitpark: eine ironisierende Wortschöpfung des damaligen Bundeskanzlers Kohl, gezielt auf zu hohe Ansprüche an den Sozialstaat. Akzeptable Meinungsäußerung.
1994 Peanuts: flapsige Bezeichnung des Bankers Hilmar Kopper über einen Teil der Schulden des Bauunternehmers Jürgen Schneider, Eintagsfliege.
1996 Rentnerschwemme: bösartige Charakterisierung der demografischen Entwicklung.
1998 sozialverträgliches Frühableben: Ausdruck des Ärztefunktionärs Karsten Vilmar. Unverzeihlicher Zynismus oder zulässige Ironie?
2001 Gotteskrieger: fragwürdige Bezeichnung der Taliban und anderer islamistischer Terroristen
2002 Ich-AG: Kurzformel für den Versuch selbstständiger Tätigkeit; sachlich schief, aber nicht ohne Witz.
2004 Humankapital: Strittig. Degradiert das Wort den Menschen zu einer rein ökonomischen Größe oder bezeichnet es bedeutendes menschliches Können?
2007 Herdprämie: Diffamierung der Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen, oder zulässiger Spott über die CDU/CSU-Politik?
2009 betriebsratsverseucht: Diffamierung berechtigter Arbeitnehmerinteressen.
2010 alternativlos: kein echtes Unwort, sondern eine politische Behauptung, der jeder jederzeit widersprechen kann.
2011: Gutmenschen: hämische Charakterisierung von Menschen, die sich für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz einsetzen.
2014 Lügenpresse: Schimpfwort der rechtspopulistischen Pegida-Bewegung für die deutschen Medien. Nazi-Ausdruck.

Neugierig geworden?

Den kompletten Beitrag finden Sie in Kapitel 6 des Buches Nachrichten – klassisch und multimedial.